- 300 Jahre St. Petersburg -
Russland und die "Göttingische Seele"

 
 
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Russische Studenten in Göttingen

Ähnlich wie sich die russischen Kontakte und die Slawenkunde in Göttingen erst allmählich entwickelten, war auch die Zahl der hier studierenden Russen zunächst gering.
Abgesehen von Deutschen aus den russischen Ostseeprovinzen, die die Georgia-Augusta schon bald nach ihrer Eröffnung entdeckten - Bräker zählt bis 1800 356 deutschstämmige Kur-, Erst- und Livländer -, immatrikulierten sich als erste ,,natürliche" Russen 1751 die Brüder Pjotr und Pawel Demidow aus der einflußreichen Familie des sibirischen Großunternehmers Nikita Demidow; ein weiterer Sproß der Familie hielt 1755 im größten Saale der Universität eine mit Beifall aufgenommene Rede anläßlich der Geburt des russischen Thronfolgers Pavel Petrovic, die anschließend in Göttingen gedruckt wurde.
In der Folgezeit haben immer wieder Söhne angesehener Adelsgeschlechter in Göttingen studiert: 1780 die Brüder Alexei, Nikita und Wassili Tatischtschew; 1782 die Brüder Grigori und Michail Miloradowitsch; 1792 die Grafen Wassili Musin-Puschkin und Pjotr Rasumowski, um nur einige zu nennen. Vor allem aber wurden begabte Studenten zur Ausbildung nach Göttingen abgeordnet.

Göttingen von Südwesten
Kupferstich, Chr. A. Besemann

Student am Schreibtisch.
Radierung von Chr. A. Besemann

Schlözer
brachte, als er 1765 aus Petersburg nach Göttingen reiste, eine Gruppe von vier Studenten nach Göttingen, darunter die nachmaligen Mathematiker Pjotr Inochodzew(1742-1806) und Iwan Judin (1742-1768), die nach ihrer Rückkehr als Übersetzer der Eulerschen Universalarithmetik (1768/69) in Erscheinung traten, sowie die Historiker Wassili Swetow und Wassili Wenediktow (1740-1806). Bis 1772 wurden sie von einem besonderen Inspekteur, Dimitri Rudnew (1737-1795), dem späteren Bischof Damaskin von Novgorod, geistlich betreut. Mit den 1770er Jahren wuchs der Zustrom russischer Untertanen aus St. Petersburg, Moskau, Kleinrußland (Ukraine) und vornehmlich aus den Ostseeprovinzen immer stärker an. Göttingen trat damit in Konkurrenz zu den Modeuniversitäten der Zeit, Leipzig und Straßburg.

1798 veranlasst Zar Paul I., durch einen Ukas allen russischen Untertanen das Studium an ausländischen Universitäten wie auch die Einfuhr westlicher Bücher zu untersagen. Die Bemühungen des Göttinger Prorektors, das Studienverbot wenigstens für die deutschstämmigen Studenten aus den Ostseeprovinzen aufzuheben, blieben, wie ein Schreiben Aschs vom März 1799 zeigt, ohne Erfolg. Damit wurde zum Leidwesen der Universität, ,,eine zahlreiche und angesehene Classe von Studirenden" (E. Brandes) von Göttingen ferngehalten.

Erst mit dem Regierungsantritt des reformfreundlichen Zaren Alexanders I. wurde das Studienverbot wieder aufgehoben. In dem Jahrzehnt von 1802 bis 1812 verstärkten sich die göttingisch-russischen Beziehungen in einem bisher nicht bekannten und auch später nicht wieder erreichten Umfang.

Schon zum Wintersemester 1802/03 trafen erstmals wieder 20 russische Untertanen zum Studium in Göttingen ein, darunter zehn "reine" Russen. In der Folgezeit stieg die Zahl der immatrikulierten Russen ständig an. Im Sommersemester 1806 waren es 40 oder, bei einer Gesamtzahl von 548 Studenten, 7,3 % aller Immatrikulierten. Durch die politischen Ereignisse der Jahre 1805/06 wurde der Studentenstrom aus Rußland nur kurzfristig unterbrochen.


Zu der ersten Generation (1802 bis 1806) der ,,Göttinger Russen" (russkie gettingency), wie man sie oft genannt hat, zählen

- Alexanderr Turgenew
- der spätere Professor für Russische Literatur in Dorpat (Tatu), Andrei Kaissarow
- Wilhelm von Freygang
- die späteren Moskauer Professoren I. A. Dwigubski (1771-1839) und I. P. Woinow (1776-1812)
- der künftige Inspekteur des Lyzeums in Zarskoje Selo M. S. Pilezki

Danach kann eine zahlenmäßig noch stärkere zweite Generation für die Jahre 1808 bis 1811 angesetzt werden:


- die jüngeren Brüder Turgenews, Nikolai und Sergei
- der Dichter und Ästhetiker N. I. Butyrski (1788-1848)
- M. G. Plissow (1783-1853), später Professor für politische Ökonomie und Finanzwissenschaft an der Petersburger Universität
- der künftige Adjutant des Zaren A. I. Michailowski-Danilewski

Zur zweiten Generation gehören auch fünf der künftigen Lehrer Alexander Puschkins am Lyzeum in Zarskoje Selo:

- Alexander Galitsch
- Iwan Kaidanow
- Jakob Karzew

- Alexander Kunizyn
- Alexander Rennenkampf

Auf einer Karikatur von Alexei Illitschewski, einem Lyzealfreund Puschkins, sind vier dieser Lehrer abgebildet:


Die abgebildeten Lehrer sind von links nach rechts:

Alexander Kunizyn
, David de Boudry, Pjotr Georgiewski, Friedrich von Hauenschild, Nikolai Koschanski, Jakob Karzew, Iwan Kaidanow und Alexander Rennenkampf.
Rechts oben ist der Volksbildungsminister Alexei Rasumowski zu sehen.





Reinhard Lauer
(gekürzte Fassung des Katalogbeitrages)
 
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