Vortrag zum LIBER Seminar in Paris am 23.01.1996

Thema: Die Entwicklung in der Architektur von Bibliotheken während der letzen 20 Jahre

Prof. Eckhard Gerber, architekt

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wie uns die Geschichte erzählt, wurden schon vor 2300 Jahren Bücher in Form von Pergament-und Papyrusrollen in der berühmten Bibliotheka in Alexandria zusammengetragen und aufbewahrt. Über ihre Gebäudegestalt, die Architektur ist uns jedoch nichts bekannt. Circa 700.000 Rollen verbrannten zusammen mit dem uns unbekannten Gebäude im ersten Jahrhundert vor Christi. Cäsar begann seine neue Zeitrechnung mit der Vernichtung des geschriebenen Kulturgutes der Weltgeschichte.

Die Bibliothek war ursprünglich eher ein Ort der Aufbewahrung und Sammlung von Büchern, nur wenigen war es beschieden diese Bücher zu benutzen.

Mehr und mehr, mit der Entstehung des Bildungsbürgertums, entstanden auch neue Bibliotheken als offene Einrichtungen für die Bürger. Bis zur Jahrhundertwende bzw. bis zum Beginn des ersten Weltkrieges war die klassische Bibliothek in ihrer Gebäudestruktur eher die museale Bibliothek, die zwar als Gebäude für das Bildungsbürgertum errichtet wurde, wobei jedoch das Gebäudekonzept eher im traditionellen verhaftet blieb. Also ein herrschaftlicher Repräsentationsbau wie jedes andere öffentliche Gebäude aus dieser Zeit, in jedem Fall ein introvertierter Bau.

Wie die beiden Beispiele der Universitätsbibliothek Straßburg von 1894 bzw. die Washingtoner library of congress 1897 zeigen, konnten diese Gebäude auch andere öffentliche Nutzungen beherbergen. Die Besonderheit einer Bibliothek läßt sich hier in unserem heutigen Sinne von der Gebäudegestalt kaum ablesen. Charakteristisch als Bedeutungsträger ist der von einer mittigen Kuppel überwölbte Lesesaal, in dem die Begegnung mit dem Buch eher als eine heilige Handlung stattfindet, ein Raum in der wohl der Raum selbst wichtiger als das Buch ist, in dem sich mehr die Atmosphäre von Erfurcht einstellt, anstatt die Freiheit des Geistes.

Wie aus dem Grundriß in Straßburg zu sehen, sind um den mittigen Lesesaal die Räumlichkeiten für die Aufbewahrung der Bücher angeordnet, und zwar im Erdgeschoß wie im ersten Obergeschoß, obwohl die Fassaden in der Schichtung ihrer Geschoße in den traditionellen Fassadenaufbau entwickelt wurden und nicht nach den inhaltlichen Gegebenheiten der dahinter liegenden Nutzung: das Erdgeschoß als einfaches Basis-Sockelgeschoßund darüber die Belle Etage mit einem viel höheren Anspruch einer viel reicheren architektonischen Gliederung: wie z. B. der Fenstereinfassung, der Anordnung von Pilastern und Säulen, usw.

Mit dem Bibliotheksgebäude in Stockholm von Asplunt, aus dem Jahr 1920 wird dann der Bruch der Architektur zur Jahrhundertwende deutlich. Obwohl das Aspluntsche Konzept ebenfalls noch von einem zentralen Leseraum mit umgebenden Räumen der Buchaufbewahrung ausgeht, wird aus dem bisherigen Kuppelgebäude hier in der Abwandlung eine Rotunde, die Form eines Behälters als Andeutung aus dem Industriebau, eines Gasometers, also eines Behälters für Bücher z.B. Somit findet eine Endmythisierung des traditionellen Gebäudetyps statt, obwohl die zentralistische Rotunde immer noch als Bedeutungsträger einer wichtigen Einrichtung für die Stadt verwendet wurde. Im Keller unter dem runden Lesesaal sind die weniger benutzten oder wertvolleren Bücher magaziniert

Der immer umfangreicher werdende Bestand der Bücher macht große, zusammenhängende Magazinbereiche notwendig, um in kompaktester Form Bücher aufzubewahren und durch gute Organisation diese schneller auffinden bzw. ausleihen zu können. Diesen Buchspeicher macht Scharoun bei seiner Berliner Bibliothek zum gestaltprägenden Element, ein riesiges geschlossenes,fensterloses Gebäudevolumen, vergoldet, als schwebende Skulptur über dem als Flachbau darunter entwickelten Eingangs-, Lese- und Verwaltungsbereich. Die Bücher sind hier für den Nutzer nicht direkt zugänglich, sondern nur über die Ausleihe kann der Leser sie benutzen. Mit diesem Entwurfskonzept wird die neue Auffassung von Architektur für den Bibliotheksbau deutlich. Mit den aufgrund der umfangreichen Buchbestände neuen funktionalen Anforderung entsteht ein Bibliotheksgebäude, das die Funktionsbereiche wie Buchspeicher, Verwaltung, Lesesaal und Eingangszone mit Katalogbereich als Einzelbereiche architektonisch ausformuliert und diese kompositorisch zueinander und ineinander fügt. Der bisherige Repräsentationsanspruch wird auch in diesem Entwurfskonzept, aber in ganz anderer Weise, als bei den Bibliotheken des vergangenen Jahrhunderts, fortsetzt, und zwar in der überdimensionalen Größe der Eingangshalle, aber vor allem mit der goldenen, in den Himmel gestellten Magazinskulptur, sozusagen als Verwandlung der traditionellen mittigen Kuppel.

Mit diesem Bibliothekstyp ist also alles anders als früher. Die bisher gültige geometrische Grundstruktur des rechten Winkels in Form von Innenhöfen mit Kuppelbau und den traditionellen Fassaden sind der freien Form des Grundrisses und der freien Gestalt nach außen, die sich im wesentlichen aus der Darstellung der funktionalen Einzelbereiche ergibt, gewichen.

Sicherlich hat die Scharounsche Bibliothek - wie traditionelle Representationsgebäude - auch ein Vorne und ein Hinten. So macht die aus der Magazinskulptur nach unten verlaufende Fassade, die den Riegel der Verwaltung aufnimmt, dem Gebäude eher ein Rücken im Gegensatz zur Vorderseite, aus der sich Einzelvolumen des Lesesaalbereiches zur Straße hin strecken und öffnen. Auch die strukturelle Schichtung der Funktionsbereiche vertikal in Ebenen übereinander ist gänzlich neu. Eingangsbereich mit Ausleihe, darüber der Lesebereich mit ebenengleicher Zuordnung der Administration und darüber der Magazinbereich eben als große, geschlossene Skulptur.

Ganz im Gegensatz hierzu die in den entstandene Bibliothek in Toronto, bei der der gesamte Bücherbestand als Freihandbestand dem Benutzer zugänglich ist, was bei weniger wertvollen Buchbeständen eher Sinn macht als bei traditionellen Bibliotheken.

Die Gebäudeform, die sich aus diesem Bibliothekskonzept ergibt, ist ein vertikal entwickeltes, breit angelegtes Gebäude von großer Baumasse, um so die große Zahl der Bücher, die in einem Magazin platzsparender aufbewahrt werden konnten, hier offen zuganglich zu machen was eine flächenintensive Aufstellung erfordert

Das Erkennen dieses Gebäudes als Bibliothek ist nur möglich, wenn man über seine Grundriß- und Schnittstruktur genauere Informationen hat.

In der Mitte des jeweiligen Geschoßes sind die Buchbestande, in den Außenzonen, die Lesebereiche zum Teil in Zellenstruktur angeordnet. Jeweils zwei höheren Hochgeschoßen sind an den Außenzonen drei niedrigere Carrelgeschoße im spJitJevel Prinzip zugeordnet. So können viele, kleine, individuelle, tagesbelichtete Lesekabinen untergebracht werden, die nach außen wesentlich die Fassaden prägen. Keine Repräsentation sondern Zergliederung des großen Volumens durch die kleinteilige Lesezellengestaltung.

Die in den 70iger Jahren entstandene Universitätsbibliothek in Stockholm von Erskine ist in ihrer äußeren Gestalt der Scharounschen Bibliothek in Berlin ähnlich mit der riesigen, schwebenden Skulptur über dem Flachbau. In der Kenntnis von Berlin ist dieser Bau eher irreführend, da das riesige, skulptural, geschlossene Volumen, nicht das Magazin wie in Berlin, sondern die Technikzentrale beinhaltet, die den großen Lese- und Freihandbereich im viergeschossigen Flachbau darunter klimatechnisch auf diese Weise sehr einfach versorgen kann, was im Innenbereich mit den technischen Rohrführungen besonders deutlich wird. So ist diese Bibliothek eher ein Zeugnis der technoiden Architekturphase der 70er Jahre.

Trotz großer, offen angebotener Freihandbestände mit Lesebereichen sind wesentliche Teile des Buchbestandes in einem, in den Kellergeschoßen angelegten Magazin geschlossen, kompakt untergebracht

So ist auch die Göttinger Bibliothek (1986) angelegt, die großen Magazinbestände sind auch hier in Kellergeschoßen angeordnet, so daß als architektonische Gestaltfindung für die Bibliothek hier nicht der Magazinbereich, sondern der Lese- und Freihandbereich, der Trakt der Verwaltung und ein Eingangsturm dienen.

Die Buchmagazine als Gebäudeteil unsichtbar- das Bibliotheksgebäude als "Spitze des Eisberges", da große Volumen im UG angeordnet sind. Im Erdgeschoß für die Benutzer Eingang, Info, Katalogbereich mit Bibliographischem Apparat, Ausleihe und Bestellung, Garderobe (über eine offene Treppe im Untergeschoß erreichbar), Kontrolle und Verbuchung für den Lesesaalbereich im 1. und 2. OG, die Verwaltung im rechteckig angelegten Rücken des Gebäudes als ebenengleiche Zuordnung zu Katalog- und Freihandbereich im Erd- und 1. ObergeschoB, sowie die technischen Dienste ebenfalls im Rücken im 1. und 2. UG. Die Halle als offener, tageslichtdurchfluteter Raum über alle Geschoße erschließt, sichtbar für den Benutzer, alle Bereiche der Bibliothek.

Im Gegensatz zum Rücken der Verwaltung, die Fingerkonzeption des Lesebereiches, eine neue, strukturelle Raumschöpfung zur funktionalen Raumgliederung und einfachen Orientierung des Innenraums. Das Tageslicht fällt so tief in die sonst dunklen Freihandbereiche, die Öffnung zum Grün und zur Stadt formuliert eine offene, landschaftliche Raumatmosphäre der Bibliothek mit sinnvoller innerer 0rientierung durch den Blick nach außen. Das gleiche gilt für das Café in der Rotunde. Es bieten sich vielfaltige Raumsituationen zum Lesen an.

In den 80iger Jahren entstand das Wettbewerbskonzept der Pariser Staatsbibliothek, die sich wie Berlin mit dem Magazinbestand der Bücher, aber hier in verglasten Hochhäusern architektonisch darstellt Bücher, die eigentlich dunkel aufbewahrt werden sollen, sind hier in hellen Tageslicht gesthoben untergebracht Bewegliche Holzlamellenwände können das Tageslicht regulieren. Die Mitarbeiter in den Magazinen haben so schöne Arbeitsbereiche. Ein Konzept, das viele Bibliothekare deshalb stark kritisiert haben, ist hier zu einem ungewöhnlichen (außergewöhnlichen) Bauwerk als architektonische Gestaltfindung einer Bibliothek geworden. Mit den 4 aufgeschlagenen Buchgebäuden, die einen einmaligen Raum fassen und so weit in die Stadt die Bibliothek symbolisieren, als Sockel zur Seine mit einer großen Freitreppe zur Esplanade, entsteht ein leerer, offener, weiter Raum in der Stadt, der einen tief eingeschnittenen Garten, einen ruhigen Ort im Stadtrummel zum Zentrum der Bibliothek macht.

Um diesen Gartenhof ist der Lese- und Freihandbereich in fünf Geschoße angeordnet, von hier erhält er seine Belichtung, in diesen geschlossenen Gartenhof sind alle Bereiche orientiert. Das Lesen sozusagen im "Keller" und doch offen und frei zum Innenraum. Der Eingang erfolgt über eine lange Rampe nach unten in das oberste Hofgeschoß, eine große gekippte Stahlwand markiert oben auf der Esplanade diesen Zugang. Wie auf einem Balkon mit dem Blick in die Tiefe des Gartenhofes präsentiert sich der Vorbereich zum Eingang in die Bibliothek, zwei ganz einfache Öffnungen als Schiebetore zu den Büchern. Noch aus der Eingangshalle heraus sieht man über die bewegten dunkelgrünen Baumwipfel hinweg in den Hof. So gelangt man ganz beiläufig in das eigentliche riesige Bücherhaus in eine 115 m lange, 14 m breite und 7 m hohe Eingangshalle mit ihren die ganze Lange einnehmenden Informationsschaltern und Garderobenschränken. In dieser ersten oberen Eingangsebene befinden sich die Lesebereiche für den nicht wissenschaftlichen Besucher, die entlang der Glasfassade am Gartenhof erschlossen werden. Eingelassene lange Lichthöfe versorgen den Lesebereich auch von der Rückseite mit Tageslicht.

Die wissenschaftlichen Lesebesucher erwartet nach Durchschreiten der Schleusen am Ende der Eingangshalle ein ungewöhnlicher Raum -einer Schlucht ähnlich- 30 m tief bzw. hoch, 5 m breit und winkelförmig, die Wände mit großen Metallgobelins behangen. Über eine Rolltreppe werden die Lesebesucher ca. 19 m nach unten befördert, um hier in den Lesebereich der wissenschaftlichen Lesebesucher zu kommen. Mit dem Oberlicht erhält dieser Raum eine mystisch sakrale Atmosphäre.

Von hier aus gelangt der Besucher wieder an die Glasfassade des baumbestandenen Hofes und nun auf seine unterste Ebene. Der Umgang entlang der Fassade erschließt die eigentliche Lese- und Studierzone, die über 6 ansteigende Stufen bzw. mit dieser Ebene verbunden ist.

In die viergeschossige Lesehalle sind kaskardenartig dreistufig Brücken als Lesekabinen hineingehängt. Hier kann der Leser allein und zurückgezogen sich der Literatur widmen. Schmale Glasschlitze ermöglichen den Blick in die Lesehalle, aber auch durch die Fassade in den Innenhof und weiter zu den Bücherglastürmen der Bibliothek. Und so ist wieder alles auf einen Blick sichtbar, der Wald, der große Platz, die aus den eigelassenen Lichthöfen emporstrebenden Türme der Bücher mit der Verwaltung und der langen, schrägen Rampe als Abgang zum Lesebereich. Die Sichtbarmachung des Dialoges zwischen Magazin und Freihandbereich.

Ganz anders das Konzept für die im Bau befindliche neue Alexandrinische Bibliothek. Keine ablesbaren Einzelbereiche, wie zum Beispiel Magazin-, Lese- oder Verwaltungsbereich, wie wir dies an den vorherigen Beispielen sehen konnten, sondern vielmehr alles in einer kreisrunden Großform zusammengefaßt, eher das Gebäude als sinnbildliche architektonische Gesamtgestalt, mit einer neuartigen, inneren Funktionsstruktur.

Ein Bibliothekszentrum als Großrotunde in der Fortführung der Geschichtlichkeit der Urbibliothek - wie zu Anfang beschrieben - als geistiger Mittelpunkt für die Welt.

Also ein nach außen und innen für die besondere Aufgabe symbolisches Gebäude. Der Kreis als Symbol der Sonne und der zentralen Mitte, die schräge runde Scheibe zur absoluten Horizontale des Wassers in das Wasser eintauchend, mit seinem schrägen Dach orientiert nach Norden Richtung Europa, die Schräge außen und die im Inneren so entstehende Terrassierung als Ableiten der Topographie und somit als Beziehung zur Erde, die äußere Form als Zylinder zentralistisch und merkfähig, nach Westen angeschnitten zur Bildung des Eingangsbereiches, Im Inneren der Zylinder nun als Rotunde wiedererkennbar (vielleicht eine Analogie zu den großen Kuppellesesälen, siehe Washington), die Gebäudehülle als Umfassung des Raumes, der mit der dialektisch zum Kreis orthogonalen Terrassierung, wie die Struktur des Daches, zu einer großen, allumfassenden offenen Raumeinheit wird. Sicherlich eine der einprägsamsten Bibliotheken, und zwar eine Gebäude-Raum-Findung, die beispielhaft ist, für die immer wieder neuen überraschenden Möglichkeiten von Raumschöpfungen die unsere Zeit in ihrer Freiheit und Loslösung von der Tradition hervorbringen kann.

Ober die Eingangshalle gelangt man ebenengleich in einen verglasten, quadratischen Raum, von dem aus das gesamte Rund des großen Bibliotheksraumes mit seinen Leseterrassen erlebbar und erfahrbar wird. Mit einem Blick macht sich dieser Raum in seiner Gesamtheit und seiner Funktion verständlich. Über eine Treppenstraße werden die einzelnen Ebenen erschlossen. In den geschlossenen - überdeckten Raumzonen schlieBen sich die Magazine an die auf offenen Terrassen sich befindenden Lesezonen an. So können die Bücher ebenengleich direkt zu den Lesern kommen bzw. die Leser zu den Büchern. Ein neuer, sehr beachtenswerter Entwurfsvorschlag, um die Magazine als Freihandmagazine nutzbar zu machen und so dem Leser zu allen Büchern auf einfachste Weise Zugang zu verschaffen.

Der die Terrassen verbindende Treppenweg als Haupterschließung des Gesamtraumes ist im Dach gänzlich verglast, so daß das Tageslicht die Bedeutung dieses Hauptweges erhellt und in den oberen Geschossen der Blick auf das Meer und in die Weite möglich wird. Der Lesebesucher gelangt von dieser Erschließungstreppe zuerst durch die Buchregalbereiche zu den an der Peripherie liegenden Lesezonen, die sich über Rampen wiederum aufgliedern und zu einer schmalen Lesezone entlang der Brüstung verbinden So wird die Funktion zur unverwechselbaren Raumschöpfung dieser neuen Bibliothek Die Anordnung der weiteren Bereiche innerhalb des Gebäudekonzeptes, und zwar die Sondersammlungen, der Verwaltungs-, der technische und der operative Bereich, im nächsten Bild der Bereich Internationale Schule für Wissenschaftsinformationen und das Konferenzzentrum und im weiteren Bild, die Anordnung des kulturellen Bereiches.

Der introvertierte Raum, der als Rotunde in sich selbst und durch seine Weite, seine Terrassierung und somit zu seiner Verbindung zum Boden und durch sein lichtdurchflutetes Dach zum Himmel, eben in sich selbstzur offenen Landschaft, zur offenen Buchlandschaft wird.

Wie die Gegenüberstellung der beschriebenen Beispiele zeigt, gibt es Analogien von völlig unterschiedlichen Entwurfskonzepten:

Berlin - Paris, die Magazine als sichtbare Potentiale einer Bibliothek im Stadtraum.

Berlin; geschlossene, skulptural freie Form, golden - in übertragenem Sinn die Fortführung der Kuppel

Paris: offen, lichtdurchflutet, Sichtbarmachen des Inhaltes eine geometrische, funktionale Form, aber auch als Symbol mit den Ge- bäuden des aufgeschlagenen Buches, 4 solche "Bücher" formulieren einen neuen Stadtraum mit Gartenhof als neue geistige Mitte, eine weitere aber entferntere Analogie zum alten mittigen Kuppellesesaal, die bei der Scharounschen Bibliothek sich durch die goldene Skulptur symbolisiert.

Berlin - Stockholm, formal ähnliche Ansätze, das schwebende skulptural geschlossenen Gebäudeteil des Magazins in Berlin ist bei Erskine Technikzentrale. So ist ein Vergleich eher mit Göttingen sinnvoll.

Göttingen - Stockholm, bei beiden Konzepten erfolgt die Anordnung des Magazins in den Kellergeschossen, hier ist eine großflächige horizontal strukturierte Anordnung möglich und im Keller eine sichere Aufbewahrung der Bücher mit Schutz vor äußerer Zerstörung. Für Magazinmitarbeiter wenig gute Arbeitsplätze und zur Benutzung als Freihandmagazin wenig geeignet.

Die Darstellung der Bücher wird in Göttingen zur Gestaltfindung der Bibliothek, und zwar durch Transparenz der Fassade und Öffnung zur Stadt.

Bei der Erskinschen Bibliothek in Stockholm ist einer der wichtigen Entwurfsgedanken die Anbindung der Bibliothek an das Universitätsgebäude mit den besonderen Gebäudeelementen des tonnengewölbten schwebenden Daches, das alt und neu verbindet und hier einen Kommunikationsbereich entwickelt.

Wenn man von einem Bibliotheksgebäudetyp unserer Zeit sprechen mochte, dann sind beide Projekte mit ihrer horizontalen Grundstruktur in 3 bis 4 Geschossen und dem in der Erde liegenden Kompaktmagazin hierzu Prototypen.

Toronto - Alexandria, trotz unterschiedlicher architektonischer Ausprägung werden bei beiden die gesamten Buchbestande dem Benutzer zugänglich gemacht. In Alexandria mit horizontaler in Toronto mitvertikaler Gebäudestruktur. Die Architekturaussage ist bei der Torontoner Bibliothek weniger bedeutend; in Alexandria jedoch durch die zylindrische bedeutungsvolle Gestalt von großer Symbolik. Die Horizontale des Wassers, die schräge Schale des Daches als Sonne, die Terrassierung im Inneren als Verbindung zur Erde, symbolische Elemente durch welche sich Gegenwatt, Vergangenheit und Zukunft miteinander treffen und so auf die Urspränglichkeit, den Beginn der Bibliothek hinweisen.

So geht jedes Beispiel auf seine Weise auf den besonderen Ort ein und formuliert ihn durch die vielfältigsten Inhalte, die zeigen, daß heute viele verschiedene Funktionsstrukturen für eine Bibliothek möglich sind und richtig sein können.

Wir stellen fest, daß es heute nur bedingt eine Entwicklung des Bibliotheksbaues im Sinne der Weiterentwicklung bestimmter Gebäudestrukturen gibt, wie Wirt diese aus den vergangenen Jahrhunderten kennen. Die gezeigten Beispiele Berlin, Toronto, Stockholm, Göttingen und Alexandria belegen dies. Nur die Prototypen auf der die Erskinsche Bibliothek in Stockholm und Göttingen entwickelt sind, erfahren häufiger Neuauflage bzw. Abwandlungen. Im Grunde suchen wir heute nach immer wieder neuen Konzepten, die sich zum einen aus neu erdachten Funktionszusammenhängen ergeben, zum anderen aber vor allem aus der Besonderheit des Ortes, des Genius loci abgeleitet und neu erfunden werden. Die technischen Neuheiten wie online und Internet werden auf das neue Bibliotheksgebäude der Zukunft nur wenig Einfluß haben, sei denn wir setzen auf die Zitat "papierlose, weltweit virtuelle Bibliothek, in der alles per Computer geschieht: die Bücher sind auf Datenträgern gespeichert, die Recherche erfolgt am Bildschirm aber weltumspannende Netze, mittels denen der Benutzer sich von zu Hause aus den gewünschten Text in sekundenschnelle aufseinen PC holen kann" Zitat Ende (Brigitte Rotlein, Süddeutsche Zeitung, 1 1 .01.1996)

Trotz des heute schier unübersehbaren Schwierigkeitsgrades bei den funktionalen Anforderungen einer Bibliothek und trotz der Technisierung, muß sie ein Ort der Stimulans zum Lesen und finden von Büchern sein, ein dem geistigen Potential ihres Inhaltes angemessener Raum von hoher Gestaltkraft und Identifikation sein, wo Menschen gern hingehen und sich gern aufhalten, und nicht nur Buchspeicher als Supermagazin.

Die Tendenz der Zukunft wird sein, die Bibliothek mehr zu öffnen, immer mehr Menschen an mehr Bücher heranzufahren.

Dies wird zum Öffnen der Magazine führen. So wird die Anordnung und Lage der Magazine als Freihandmagazin in Zukunft eine wichtige Frage an neue Konzepte sein. Dies läßt sich nur schwer in großflächigen, horizontalen Bibliotheksgebäuden wie z. B. Göttingen und Stockholm organisieren, da die Gliederung und Orientierung schwierig ist, aber auch durch die akustische Abschirmung, die heute gegenüber früher durch z. T. rücksichtsloseren Umgang der Menschen untereinander immer notwendiger wird. Es werden in Zukunft auch nur ganz geringe Anteile von Magazinen im Keller angeordnet werden können.

So könnte die Bibliothek der Zukunft eher wie Toronto bzw. Paris, wenn hier die Magazin-Hochhäuser offene Magazine waren, ein vertikal gegliedertes und strukturierte Gebäudekonzept haben, wo die einzelnen Themenbereiche der Bücher einzelnen Geschossen zugeordnet sind, die über zentrale Aufzuge erreichbar wären. Solche Konzepte sind für Bibliothekare sicherlich noch gewöhnungsbedürftig. So wäre eine gute Orientierbarkeit gegeben, eine gute akustische Abtrennung durch die jeweils abgeschlossenen Geschosse möglich, helle, offene, transparente Freihandbereiche mit schönem Ausblick und wegen der kleineren Flächen von den Geschossen auch eine intimere, persönlich individuelle Atmosphäre eher einem Studierzimmer ähnlich. Vielleicht so, wie wir dies mit unserem Wettbewerbsentwurf für die Jenaer Universitätsbibliothek vorgeschlagen hatten.

Mit solchen Konzepten wird weniger Vegetationsfläche in Anspruch genommen, die es nur einmal auf unserer Erde gibt, alte Baume könnten z. B erhalten bleiben und die Bibliothek wurde als vertikales turmähnliches Gebäude ein Zeichen des Wissens und des Geistes in ihrer und für ihre Stadt sein, mit der symbolischen Kraft, wie sie bis heute 2000 Jahre lang - noch unbekannterweise - die Alexandrinische Bibliothek ausstrahlt, ein kulturelles Zentrum von Büchern, wo Offenheit und Weite die Freiheit des menschlichen Geistes fordern.

Herzlichen Dank