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Einleitung
Die Ausstellung Weltbild – Kartenbild. Geographie und Kartographie in der Frühen Neuzeit zeigt eine Auswahl von bedeutenden historischen Atlanten, Stadtansichten, Länderbeschreibungen und Reiseberichten aus den Beständen der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Die Ausstellung hat damit eine Epoche zum Thema, die einen Höhepunkt der historischen Geographie und Kartographie darstellt. Die Entwicklung der Seefahrt führte damals zu einer Entfaltung der Geographie und der Kartographie, die sich sowohl auf empirische Untersuchungen der bislang unerforschten Teile der Welt als auch auf wissenschaftliche Grundlagen, vor allem der Mathematik, stützte.
In der Vorstellungswelt der Menschen am Vorabend der Neuzeit vermischten sich Wirklichkeit und Phantasie, gesichertes Wissen und Fabel miteinander. Die Erde mit den seit alters her bekannten Kontinenten Europa, Asien und Afrika galt als Scheibe, die vom Ozean umspült war. Obwohl die Kugelgestalt der Erde schon in der Antike erkannt worden war, stieß das Bild von der Welt als Kugel doch auf Unverständnis. Nur schwer konnte man sich vorstellen, dass die Menschen auf der anderen Seite des Erdballs, also auf dem Kopf stehend, nicht vom Globus ins All fielen.
An die antike Tradition knüpfte die mittelalterliche Kartographie an. Sie übernahm das kreisförmige Weltbild, wobei Jerusalem das Zentrum bildete. Aus dem Mittelalter sind auch die ersten Portulankarten überliefert, welche vor allem die Meeresküsten darstellten. Portulankarten mit Windrosen, später auch mit geographischen Netzen, lieferten den Seefahrern wichtige Informationen.
Die Entwicklung der Geographie – gleichsam eine ‘geographische Renaissance’ – begann mit der Wiederentdeckung und Verbreitung der Schriften des Claudius Ptolemaeus, der als gelehrter Astronom und Geograph im 2. Jahrhundert nach Chr. in Alexandria gelebt hatte. Anfang des 15. Jahrhunderts wurden seine Schriften von griechischen Gelehrten nach Italien gebracht. Im Weltsystem des Ptolemaeus stand die Erde im Mittelpunkt des Himmelgewölbes, das Kugelgestalt habe und sich wie eine Kugel drehe (ptolemaeisches oder geozentrisches Weltbild). Im Zuge der Entdeckungen wurde das Werk des Ptolemaeus jedoch mit weiteren Karten ergänzt. Mit der Zeit verdrängten die Anhänge sogar die ursprünglichen Karten ganz.
Mit einem zeittypisch lebhaften Sinn für Kuriosa sahen die Chronisten von damals vor allem die überseeische Welt von Ungeheuern und Fabelwesen bevölkert. Wie der Humanist und Arzt Hartmann Schedel in seiner Weltchronik von 1493 berichtet, lebten in ‘India’ Einäugige und Menschen mit Hundsköpfen, in ‘Libia’ Wesen ohne Kopf, mit Augen, Mund und Nase auf dem Oberkörper. Nicht selten begegneten Mischformen zwischen Mensch und Tier. Die in der Ausstellung gezeigten frühen Kartenwerke besitzen zugleich hohen ästhetischen Reiz. Künstlerische Motive ergänzen das Kartenbild oder ersetzen es sogar zum Teil. So finden sich Darstellungen von Fabelwesen überall dort, wo die Karte noch unerforschte Teile der Welt zeigte. Gerade solche Phantasievorstellungen sind aufschlussreich für die Denk- und Sichtweisen der frühen Neuzeit.
Im 16. Jahrhundert erlangte die niederländische Kartographie besonderen Rang. Als ihr eigentlicher Begründer wird Gerard Mercator (1512 - 1594) angesehen. Mercator befreite die Kartographie vom Einfluss des Ptolemaeus und schuf die erste für die Seefahrt brauchbare Karte in winkeltreuer Projektion (‘Mercator-Projektion’). Bereits vor Mercator hatte dessen Freund Abraham Ortelius sein Kartenwerk veröffentlicht. Den Höhepunkt der niederländischen Kartographie bildet das Wirken der Familie Blaeu (1571 - 1672) in Amsterdam.
Im Unterschied zu den Kartenwerken und Atlanten lag bei den Stadtansichten der Schwerpunkt auf den deutschen Werkstätten. Beispiele dafür bilden die Tätigkeit von Georg Braun und Franz Hogenberg, besondere Bedeutung erlangte auch die bekannte Kupferstecher-Familie Merian.
Bedeutende Leistungen in der Mathematik und der Astronomie erbrachten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Georg Peuerbach und Johannes Regiomontanus. Durch empirische Beobachtungen überprüften sie kritisch die antiken und scholastischen Überlieferungen und gelangten so zu neuen Erkenntnissen über die Planetenbewegungen. 1471 erschien das Tafelwerk ‘Ephemerides’ des Regiomontanus mit einer Vorausberechnung der Planetenstellungen für die Jahre 1475 - 1505, ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Seefahrt, auf das sich auch Columbus stützte.
Die Gattung der Reisebeschreibungen ist außerordentlich vielfältig und bunt, auch wenn die Reisenden nicht immer die vertrauenswürdigsten und genauesten Nachrichten mit nach Hause brachten. An die Stelle von Spekulationen über das Bild der Welt trat seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert allmählich durch Erkundung und Erfahrung gesichertes Wissen. Einen entscheidenden Beitrag dazu leisteten die Entdeckungsfahrten des 15. und 16. Jahrhunderts. Heinrich der Seefahrer (1394 - 1460) sandte Schiffe zur Erforschung der afrikanischen Küste aus, 1499 entdeckte Vasco da Gama den Seeweg nach Indien. 1505 - 1515 entstanden portugiesische Kolonien in Südasien. Der Versuch der Spanier, Indien auf dem Seeweg zu erreichen, führte Christoph Columbus 1482 an die Küste Amerikas. Die Erdumsegelung durch den Portugiesen Ferdinand Magellan (1519 - 1522) setzte den Anfang für einen weltumspannenden Seeverkehr.
Dabei verbanden sich Erlebnis- und Abenteuerlust sowie Geld- und Machtgier mit dem Streben nach praktisch verwertbaren Neuerungen auf technischem Gebiet. Durch die Eroberung der Weltmeere und die Schaffung von Kolonialreichen gelangte Europa über Jahrhunderte zu einer uneingeschränkten Vorherrschaft. Im Zuge der Entdeckungen wurden neue Verkehrs- und Handelswege erschlossen, der Warenverkehr vervielfältigte sich.
Entscheidend begünstigt wurde die Erweiterung der Welt durch eine Reihe von technischen Erfindungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Fortschritte machte der Schiffsbau. Die Erforschung von Himmel und Erde wurde durch verbesserte oder neue technische Geräte erleichtert. Wichtige Hilfsmittel der Geographie und Astronomie waren das geometrische Quadrat als Winkelmessgerät und zur Positionsbestimmung in der Seefahrt, der Quadrant zur Errechnung u. a. der Äquatorhöhe sowie Astrolab, Jakobsstab und Sextant für die Winkelmessung, ferner der Magnetkompass. Das Fernrohr wurde um die Wende zum 17. Jahrhundert erfunden.
Als Folge der Entdeckungen und durch die technischen Fortschritte – nicht zuletzt durch die Erfindung des Buchdrucks – begünstigt, nahmen die Geographie und die Kartographie seit dem späten 15. Jahrhundert einen gewaltigen Aufschwung. Sie erlangten ein immer stärkeres Maß an Zweckmäßigkeit und Genauigkeit und spiegeln zugleich den für die Geschichte der frühen Neuzeit bezeichnenden Wandel von spekulativer Theorie zu empirischer Praxis.