Unsere heutige Art, still und relativ schnell zu lesen, hat, ebenso wie das heutige Lesepublikum und seine Einstellung zum Buch, ihre eigene Geschichte. Die ursprünglich orale Kultur - von der Mehrheit der Bevölkerung tradierte sprachliche Mitteilungen, die Vermittlung kulturellen Wissens und erzählter Phantasien auf mündlichem Wege - wurde erst relativ spät durch die literarische Kultur der Gelehrten ergänzt oder auch verdrängt.[1] )
Eine kurze Skizzierung der Historie des Lesens wird im Folgenden verdeutlichen, daß dieses bis zu seinen heutigen Erscheinungsformen eine Entwicklung durchlief, während der erst allmählich die Möglichkeiten einer Lesesozialisation für alle Mitglieder der Gesellschaft entstanden. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem 18. Jahrhundert, dem durch die Ideen der Aufklärung und den endgültig vollzogenen Übergang zur Moderne lesegeschichtlich eine besondere Bedeutung zukommt.
Mit der wirtschaftlichen Entfaltung und gesellschaftlichen Differenzierung der städtischen Gemeinwesen stiegen in der frühen Neuzeit die Kommunikationsbedürfnisse. Frühe Handelszentren (Basel, Florenz, Augsburg) benötigten Jahreskalender und Marktverzeichnisse. Da höhere Berufsstände wie Geistliche und Ärzte zunehmend danach verlangten, Nachrichten, Wissen und Kritik weiterzugeben, erhielten Lesekenntnisse eine neue Dringlichkeit und Funktion. Die hauptsächliche Wissensvermittlung erfolgte noch bis ins 16. und 17. Jahrhundert hinein weitgehend mündlich, und die Lesefähigkeit blieb lange Zeit ein Privileg der Ober- und der gehobenen Mittelschicht. In Kaufmannsfamilien lernte zumindest einer der Söhne das Lesen.
Neben der fachlich qualifizierenden und politisch informierenden Literatur gab es die Poesie, die den höheren Gesellschaftsschichten zur schöngeistigen Bildung und zur Unterhaltung diente. Die Autoren der Barockpoesie waren Adelige und Patrizier, meistens hohe Beamte, die aus der gleichen sozialen Schicht kamen wie ihre Leser und ihr Schreiben im allgemeinen als "poetische Neben-Stunden" ansahen.[2] ) Die dabei entstandenen Werke verkörpern die literarische Kultur einer kleinen Oberschicht, die mit entsprechend prächtig ausgestatteten Büchern und Folianten zugleich repräsentative Zwecke verfolgte. Schön hat sehr überzeugend herausgearbeitet, daß die Beziehung der Adligen zur Literatur sich im Sinne einer repräsentativen Funktion entwickelte, "im Lesen, im Ansehen oder im Anhören eines Dramas, ebenso wie in der materiellen Gegenwart des Buches".[3] ) Der Poetik wurden bestimmte Gattungen, Sprachstile, Stoffe und Handlungen zugeordnet, und die Lektüre beschränkte sich auf standesgemäße Sachliteratur sowie die von der Rhetorik bestimmte Barockpoesie. Ab 1700 stieg die Verbreitung religiöser Literatur stetig an; in vielen Fällen wurde sie geprägt und gefördert durch den Einfluß des Pietismus, in dem Lesen als "Seele der Bildung" eine wichtige Rolle einnahm.[4] ) Der Lesestoff breiter Schichten bestand bis weit ins 18. Jahrhundert hinein aus der Bibel, religiösen Andachtsbüchern, Flugschriften, Kalendern und später auch Zeitungen. Damaliges Lesen und Vorlesen entsprach einer die Texte stetig wiederholenden Lektüre: Dieselben wenigen Bücher und Schriften wurden innerhalb einer Familie von ihren Mitgliedern intensiv, d.h. mehrfach gelesen, und die Texte verloren so auch über Generationen hinweg nicht an Autorität. Ein Buch bot oft Lesestoff für ein ganzes Leben, da einzelne Abschnitte oder Kapitel an bestimmte Zeiten des Tages oder des Kirchenjahres gebunden waren, wie z.B. Advent, Fastenzeit und Ostern.[5] )
Konnten um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert in der Regel nur Fürsten, Geistliche und Beamte lesen, so waren es in der Jahrhundertmitte bereits die Mitglieder großbürgerlicher Familien, zahlreiche Handwerker, gehobene Dienstboten und etliche Großbauern.[6] ) Allerdings ließ der Arbeitsalltag zunächst wenig freie Stunden, und auf dem Lande wurde vor allem in den Wintermonaten vorgelesen. Die Bestrebungen der Bildungsreformer, das Lesen im Laufe des 18. Jahrhunderts zu popularisieren, leiteten die "Demokratisierung des Lesens" ein.[7] ) Wie eingangs erwähnt, kommt dem 18. Jahrhundert so in Bezug auf die Entstehung eines lesenden Publikums und einer lesenden Öffentlichkeit eine wichtige Schlüsselstellung zu: Denn am Beginn dieses Jahrhunderts entstanden in Deutschland die ersten Zeitungen, die von breiten Bevölkerungsschichten gelesen wurden. Die Buchproduktion derselben Zeit wurde dagegen nach wie vor überwiegend von Gelehrten für ihresgleichen - in Latein - verfaßt und publiziert.[8] ) Der Kreis der Leser erweiterte sich erst in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, als das aufklärerische Bemühen die Anfänge einer breiten Literalisierung der Unterschichten anregte, ganz im Sinne des neuen Rationalismus und der Aufklärung: "Selbst erfahren und denken und erkennen".[9] ) Möglichst vielen Menschen sollte dazu verholfen werden, sich die "Wirklichkeit" anhand der Bücher erschließen zu können, allerdings zunächst nicht zur Unterhaltung, sondern zu lebenspraktischen Zwecken. Auch die Bevölkerung auf dem Lande sollte in die Lage versetzt werden, Bekanntmachungen und Anschläge sowie für die Landwirtschaft wichtige neue Erkenntnisse und Veröffentlichungen lesen zu können; offizielle schriftliche Mitteilungen der Obrigkeit, wie Verordnungen, gewerbliche Regeln, Gesuche, Einberufungsbefehle, Gesetze etc. wurden öffentlich ausgehängt. Die Dringlichkeit der Rezeption dieser Publikationen durch die breite Bevölkerung ist einer der Gründe für das im Zuge der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung gesteigerte Interesse der Landesfürsten und ihrer Beamten an einer verbesserten Volksbildung.[10] ) Die Verbreitung der Lesefähigkeit wurde nicht nur administrativ notwendig, sondern war zugleich auch ein Medium der Aufklärung, in der Bildung propagiert wurde. Lesen als Kulturtechnik gewann an Bedeutung, aber, und das sei hier noch einmal betont: vorerst gänzlich zweckgerichtet. Zur Illustration ein Zitat aus einer moralischen Wochenschrift von 1758:
"Die Seele verschönert sich, und wird durch keine unangenehme Empfindung an ihre neue Verwandlung erinnert; das Gedächtnis bereichert sich ohne Mühe; man lernt denken und reden; der Geschmack wird immer richtiger; und man erstaunt, Einsicht und Witz zu besitzen, ohne studiert zu haben. Die Sitten werden immer feiner, und der Umgang lehrreicher, heiterer, angenehmer. Alle diese Vorteile hat man gewiss zu erwarten, wenn man mit einem noch unverderbten Geschmacke und einem nicht ganz verfinsterten Verstande, in den Stunden, welche von den Geschäften, oder den gewählten Zeitvertreiben und Vergnügungen unbesetzt sind, mit nützlichen und vortrefflichen Schriften bekannt wird".[11] ) Die Art des hier beschriebenen Lesens konnte noch nicht für die Masse der ländlichen Bevölkerung in den unteren Ständen gelten, da von einer Lesesozialisation noch kaum gesprochen werden konnte. Dennoch drückt sich im obigen Zitat der Zeitgeist aus, welcher Bildung, Ansammlung von Wissen und die Aufnahme von neuen Erkenntnissen propagierte und dem Lesen so die Funktion und Aufgabe praktischer Lebenshilfe zuwies.
Im Sinne der Aufklärung ging es nicht zuletzt darum, neues technologisches Wissen und die Prinzipien eines vernunftmäßigen Handelns und Denkens zu erklären und zu popularisieren.
Die für die unteren Schichten zugänglichen Lesestoffe sollten auf religiöse Traktate, praktische und handwerkliche Ratgeber beschränkt bleiben. Ein Bemühen, mittels dessen zwar das Lesen gefördert, die Lesefreiheit aber weiterhin eingeschränkt wurde. Trotz aller Widerstände vollzog sich die "Leserevolution" in Deutschland mit erstaunlicher Durchsetzungskraft, und die Buchproduktion verdreifachte sich bis 1800.[12] ) Die Belege über Leserzahlen sind sowohl für das 17. und 18. als auch für das 19. Jahrhundert eher spärlich. Schenda geht für die Zeit um 1800 von ca. 25% lesefähigen Deutschen, die älter als sechs Jahre alt sind, aus.[13] ) Um 1830 waren es seiner Schätzung nach 40%, 1870 dann 75% und um 1900 sogar 90%[14] ). Allerdings ist durch diese Zahlen nichts über die Qualität der Lesefähigkeit und die Häufigkeit ihrer Anwendung gesagt.
Aus dem Bürgertum heraus, das im 18. Jahrhundert eine eigene Schicht und zugleich die Opposition zum Adel und der höfischen Welt darstellte, entstand ein mit dem heutigen vergleichbares Leserpublikum. Ihm war eine materiell und geistig anspruchsvolle Lebensweise wichtig, zunächst um Ämter zu bekleiden, bald aber auch als Profilierungsversuch gegenüber dem Adel. Hierzu diente das Lesen. Mitglieder in den Lesegesellschaften und Leihbibliotheken waren auch die Frauen des Bürgertums, die häufig gerne und viel lasen. Anhand der erhaltenen Belege dieser Institutionen ließ sich erstmals ein geschlechtspezifisches Leseverhalten konstatieren. Die Männer lasen Zeitungen, politische- und Sachbücher, Ritter- und Abenteuerromane, während die Frauen andere Bereiche der Belletristik bevorzugten.[15] ) Angeregt durch die beginnende Verbreitung der Romanlektüre erhob sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die "Lesesucht-Debatte", in deren Mittelpunkt die Frauen des Bürgertums, Mädchen, Jungen, Dienstboten und die unteren sozialen Schichten standen.[16] ) Die "Lesesucht"-Kritik beanstandete besonders Romane, deren Lektüre erst gestattet werden sollte, wenn genügend Kenntnisse der Welt und der Menschen vorhanden seien. In diesem Sinne sollten die jugendlichen Leser erst nach der Adoleszenz an ernsthafte Lesestoffe herangeführt werden. Die Entstehung einer spezifischen Kinder- und Jugendliteratur ist nicht zuletzt ein Resultat derartiger Überlegungen und Forderungen.
Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts enstanden die ersten Werke der Kinderliteratur als ein relativ eigenständiges Teilsystem der Gesamtliteratur. In Büchern wie Campes "Robinson" wurden die Kinder nicht nur unterhalten und belehrt, sondern in den Vorworten, Rahmenhandlungen und eingeschobenen Gesprächen erhielten auch die Erwachsenen Erläuterungen, wie man mit Büchern und Kindern umzugehen habe. Die Autoren der Kinderliteratur des ausgehenden 18. Jahrhunderts reagierten mit den Inhalten der Bücher auf die Entwicklung der bürgerlichen Familie und ihrer Mitglieder. "Die Erziehungsumwelt in diesen Familien wird eine Leseumwelt, das Buch wird zum Medium eines einerseits allmählich intimisierten und individualisierten, andererseits pädagogisch bewußten und steuernden, teilweise auch überwachenden Erwachsenen-Kind-Verhältnisses".[17] ) In diesem stand noch der Vater mit seiner Autorität für den sachgemäßen Gebrauch der Texte ein. Mütter sah man in der Regel als weniger geeignet an, das Lesen der Heranwachsenden anzuleiten. Denn einerseits galten sie bidlungsmäßig als den Männern unterlegen und andererseits ebenso wie die Jugendlichen stark der Gefahr der Beeinflussung durch Bücher ausgesetzt. Diese autoritären Umgangsmuster mit dem Buch verschoben sich im 19. Jahrhundert allmählich zum geselligen Umgang mit Literatur. Das Publikum des 19. Jahrhunderts hatte durchaus gemeinsame Leseinteressen, wie es zahlreiche Übersetzungen aus dem Englischen und deren hohe Auflagen belegen.[18] )
Kinder der gehobenen Schichten bekamen auch Bücher zur Stillbeschäftigung, die Mutter durfte mit auswählen. Die "Lesesucht-Debatte" verstummte allmählich, so daß sich die Unterhaltungsfunktion der Lektüre stärker entfalten konnte. Durch die Verbreitung der Familienzeitschriften, wie der "Gartenlaube", wurde das Lesepublikum an Fortsetzungsromane - eine gänzlich der Unterhaltung dienende Lektüre - gewöhnt. Die literarische Organisation der Zeit "beruhte auf der soliden Basis einer allgemeinen Leselust. Diese dürfen wir uns so elementar und vieldeutig wie den heutigen Drang zur Fernsehunterhaltung vorstellen."[19] )
In ihrem Verlauf ging die Kritik an der Lesesucht über in eine Argumentation der Abgrenzung der trivialen Literatur von der höheren Dichtung, wodurch sich die Stigmatisierung der Trivialität verstärkte. Parallel zu dieser Entwicklung bildeten sich den heutigen entsprechende Lesergruppen. Die Entwicklung eines dem heutigen vergleichbaren Lesepublikums im 19. Jahrhundert brachte eine Aufspaltung politischer Art mit sich, wodurch sich nach 1848 und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges geradezu das Bild getrennter Kulturen ergibt. Für höhergestellte Bildungsschichten, hohe Beamte und verwandte Gruppen hatte die Literatur durchaus repräsentative Funktionen. Der Literaturbegriff war beschränkt auf repetierende Bildung, eine klassische Bildung wurde vermehrt in Form von Klassiker-Prachtausgaben demonstriert und weniger durch die aktuellen literarischen Produktionen. In vermögenden wirtschaftsbürgerlichen Kreisen dagegen fand ein geradezu ostentativer Konsum statt.[20] ) Das Massenpublikum, bestehend aus Kleinbürgertum und den sozialen Unterschichten,las die Unterhaltungszeitschriften und die Kolportageliteratur. Um 1900 wurde derart klassenspezifische Kultur durch preiswerte Massenprodukte - nicht zuletzt infolge der modernen drucktechnischen und fertigungsbedingten Entwicklungen - durchbrochen. Unterschiede im Leseverhalten von Groß- und Kleinbürgertum wurden manifest, die zwischen Kleinbürgertum und Proletariat begannen hingegen zu verschwimmen.[21] ) Im Kaiserreich vollzog sich, trotz aller obrigkeitsstaatlicher und autoritärer Elemente, eine Demokratisierung in allen Bereichen der Gesellschaft, die die Teilnahme an der Kultur für alle Bevölkerungskreise erweiterte. Die Analphabetenquote sank, und Zeitungen und Zeitschriften standen allmählich weiten Bevölkerungskreisen zur Verfügung. All dies summierte sich zu einem Demokratisierungsschub, der die Möglichkeit am politischen, sozialen und kulturellen Fortschritt teilzuhaben, schnell und tiefgreifend erweiterte. Das Buch allerdings war für die unteren, kaum oder schlecht gebildeten sozialen Schichten nach wie vor kein vorrangig bedeutsames Medium. Da das Lektürebedürfnis dieser Bevölkerungsteile eher von Zeitungen, Zeitschriften, Heftchen und Fortsetzungsromanen genährt wurde, hatte das "gute Buch" als geistiger Wertgegenstand für sie marginale Bedeutung. Das Leseverhalten der sozialen Unterschichten bedeutete vorwiegend das Lesen von kürzeren Texten - soweit es der Alltag zuließ. Individuen, die versuchten, sich durch gute Lektüre "hinaufzulesen", um ihren Sozialstatus zu verbessern, galten immer als Ausnahme ihrer Klasse.[22] )
Die Alphabetisierung hatte, durch die Entwicklung des Schulsystems, über die kleine Schicht der Gebildeten hinaus Fortschritte gemacht, wodurch das Erlernen der Lesefähigkeit nicht mehr ausschließlich an die Familie gebunden war. Diese behielt aber ihre Bedeutung für die Einführung der Kinder in die Bücherwelt, da das Gros der Kinder nur selten die Möglichkeit erhielt, über das Angebot an schulischen Übungstexten oder religiösen Traktaten hinaus zu lesen. Wie auch die Untersuchung von Arbeiterautobiographien aus dem Kaiserreich ergab, fanden die Heranwachsenden aus den Unterschichten nur in Einzelfällen Zugang zu umfassenderen Büchern und Lesestoff, so daß die Mehrzahl der Kinder aus dem Arbeitermilieu auf die Vermittlung durch engagierte Lehrer oder andere Gönner angewiesen waren.[23] ) Die Beschränkung der Bücherauswahl blieb nicht nur für die Kinder der unteren Bevölkerungsschichten bis ins 20. Jahrhundert hinein bestehen; auch das sich etablierende System der Leihbibliotheken schuf hier zunächst keinen Ausgleich, da die selbständige Versorgung der Schüler und Gymnasiasten mit Büchern von den deutschen Staatsregierungen lange Zeit blockiert wurde. In Dörfern war die Errichtung einer Leihbibliothek zeitweise sogar untersagt.[24] ) Wichtig für die Textvermittlung blieb während des gesamten Zeitraumes das Vorlesen, das nicht nur als eine bürgerliche Familienidylle zu betrachten ist. Vielmehr fanden so vor allem populäre Lesestoffe und politische Schriften in den unteren Schichten ein rasch anwachsendes Publikum.[25] ) Eine Weiterentwicklung des Lesens zu einer stärker verinnerlichten, geistigen Tätigkeit fand zunächst in den höher gebildeten Schichten statt. Hier entwickelte sich das Lesen von einer direkten sozialen Interaktionsform zu einer persönlichen stillen Angelegenheit, die erst im Gespräch mit anderen über das eigene Gelesene zu einer kommunikativen Interaktionsform wurde.
Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren geprägt von Inflation, Arbeitslosigkeit und der Umstrukturierung der staatlichen und wirtschaftlichen Organisationen; eine Verbreitung des technischen Fortschritts ließ sich aber nicht aufhalten. In den 1920er Jahren veränderte sich durch das Aufkommen von Radio und Kino die gesamte Mediensituation und damit das Mediennutzungsverhalten. Motivationen wie die der Entspannung, Ablenkung, Unterhaltung und Bildung hatten erweiterte Befriedigungsmöglichkeiten erhalten. Parallel zur Expansion des Marktes stieg die Konkurrenz auf dem kulturellen Massenmarkt. Lektüre und ihre Vermittlung waren zwar nur ein begrenzter, aber wichtiger Ausschnitt aus dem Gesamtbereich der Volksbildung.[26] ) Die Veränderung lag in der nun ständigen Präsenz der Medien; ganz im Gegensatz zu den früheren Unterhaltungen wie Jahrmarkt oder Theateraufführungen mit ihrem einmaligen Charakter, konnte nun ein Kinobesuch beliebig oft wiederholt werden.
Für die Lesesozialisation zuständige Institutionen, wie die Arbeiterbildungsvereine und Bibliotheken, bemühten sich in den 20er Jahren darum, die Ausweitung des breiten kulturellen Angebotes nach im einzelnen sehr unterschiedlichen Leitbildern zu steuern. Diese "Leserlenkung" fügte sich in ein kulturelles Erziehungsprogramm ein. Führend in dieser Diskussion waren zunächst die Bibliotheken und Volksbüchereien, die sich als Hüter der literarischen Hochkultur sahen, zu der sie die Ungebildeten emporbilden wollten.[27] ) Die Machtübernahme von 1933 bedeutete für alle Bereiche eine tiefe Zäsur, infolge derer das Bildungsangebot politisch einseitig verflachte. Dementsprechend war die Buchproduktion und damit das Angebot an Lesestoffen in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt von wirtschaftlichen und ideologischen Einbrüchen durch die beiden Weltkriege, durch Zerstörung und Inflation.
Die Anfänge wirtschaftlicher Stabilität nach dem Zweiten Weltkrieg erzeugten rasch ein großes Bedürfnis nach neuem Lesestoff. Die Buchproduktionszahlen waren 1951 bereits höher als 1925 auf vergleichbarem Gebiet. Bis 1980 stieg die Herstellung auf ihren vorläufigen Höhepunkt an, fiel bis 1984 ab und begann dann wieder zu steigen.[28] )
Das heutige Lesepublikum besteht - wenn auch nicht ganz so streng getrennt wie in seinen Anfängen, dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert - aus differenzierten Schichten und sucht den Umgang mit gedruckten Medien aus den unterschiedlichsten Motiven heraus. Auch wenn man heute nicht mehr von "dem" Lesepublikum sprechen kann, sondern eigentlich nur noch von Medienrezipienten, unter denen die Leser eine bestimmte Spezies bilden, haben im Zuge der Entwicklungen die meisten Lesemotivationen und damit die Funktionen des Lesens bis heute überdauert. Darauf, wie diese sich im Lebenslauf verändern können und welche Bedeutung sie für die Leser haben, gehe ich in der Interview-
analyse ab Kapitel IV näher ein.
2. Lesen als Kulturtechnik - Versuch einer Definition
Habitualisiertes Lesen ist nicht zuletzt das Resultat des Zusammenspiels von Anregungen sowie Erziehungs- und Lernfaktoren während der Lesesozialisation. Zugleich ist es auch eine Leistung des menschlichen Gehirns, die bestimmte Voraussetzungen erfordert und im Bedarfsfall abrufbar ist. Ist das Buchstabenlesen erlernt, beginnt die Verfeinerung und Spezialisierung vom einfachen Lesen (Entziffern) bis zur Sinnerschließung.[29] )
Da es keine einheitliche Definition für den Lesevorgang als solchen gibt, müssen Versuche, das Lesen als Tätigkeit und Bedürfnis zu definieren, mehrgleisig angelegt werden. Im folgenden wird eine Auswahl von Definitionen des Lesens vorgestellt, um anhand der Divergenz der Inhalte das jeweils unterschiedliche Verständnis von Lesen zu demonstrieren und das Verständnis dafür zu sensibilisieren, wie vielfältig dieser Untersuchungsgegenstand ist und wieviele Gemeinsamkeiten sich letzendlich doch ergeben. Grundsätzlich kann Lesen als geistig-sprachliche Übernahme von Informationen aus den Zeichen der Schrift bezeichnet werden. Die Informationen sind darin einfache Tatsachenmitteilungen.[30] ) Kulturkritische Definitionen betonen die Bedeutung des Lesens als Kulturtechnik, deren Beherrschung das Individuum befähigt, aktiv und selbständig am Kommunikationsgeschehen zu partizipieren und die angebotenen Informationen und Anregungen aufzunehmen und zu verarbeiten.[31] )
Vester definiert das Lesen als eine geistig sehr anspruchsvolle Tätigkeit, die in der Praxis im Kontext mit zahlreichen anderen Faktoren ausgeübt wird: "Lesen (...) ist eine besondere Art von Erfahrung, die erst nach einem langen Entwicklungsprozeß der Zivilisation möglich geworden ist und die das Erwerben von besonderen Fähigkeiten der Abstraktion voraussetzt (...), außerdem eine bestimmte Stufe der Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit. (...) Lesen ist vermittelt durch Zeichen und Schrift, eine verselbständigte Mitteilung: der Mitteilende ist nicht unmittelbar wahrzunehmen. Lesen ist rezeptiv, ein Dialog, eine Rückkopplung mit dem Mitteilenden als sinnliche Erfahrung gehört nicht notwendig zum Lesen. Lesen geschieht meist vereinzelt, seltener als Vorlesen oder gemeinsames Lesen. Lesen setzt eine abstrakte und reduzierte Form der Mitteilung voraus. Sinnliche Erfahrungen werden in Sprache umgesetzt, diese in Zeichen. Wer liest, muß diese Zeichen reübersetzen in Erfahrung. Das erforderliche Abstraktionsvermögen ist schwer zu erlernen. Lesen ist prinzipiell anstrengend (...)".[32] ) Desweiteren ist Lesen abhängig von innerer Motivation und Leistungsbereitschaft, von aktivem Verhalten und festigt gleichzeitig diese Eigenschaften. Bei Fritz wird das Lesen als eine Form der "sinnentnehmenden Rezeption von Printmedien", die untereinander austauschbar sind bezeichnet.[33] )
Für Rudolf Schenda wie für Bodo Franzmann ist das gesellschaftlich integrierende Moment des Lesens wichtig. In diesem Sinne setzt Schenda beim Lesevorgang eine Reihe von notwendigen kulturellen Konventionen voraus, wie das Aussehen und die Bedeutung der verwendeten Zeichen, die Bedeutung der Lautkombinationen. Zum Beispiel "LAK" hören, lesen und schreiben zu können, setzt unterschiedliche kulturelle Hintergünde voraus: Deutsch: Lack, Englisch:luck, Französisch: lac.[34] ) Beim Lesen führt der Mensch sich einen Informatonsträger vor Augen und fügt die entzifferten Zeichen zu einem Wort o.ä. zusammen. Dieses Zeichenbündel bildet eine Gedankenkette mit realitäts- oder phantasiebezogenen Gedanken, die eventuell in Aktivität umgesetzt werden. Für die aktive Umsetzung reicht bereits der "Telegrammstil", z.B. "Mutter erkrankt", um ein Handeln zu veranlassen.[35] ) Dieses Verständnis vom kulturabhängigen sinnentnehmenden "Lesen" findet sich auch in der didaktischen Fachliteratur. Stocker definiert Lesen wie folgt: "Allgemein wird Lesen als sinnentnehmendes Verstehen schriftgraphisch fixierter Inhalte aufgefaßt. Verstehen als Prozeß und Endergebnis ist dem Begriff des Lesens immanent. Dementsprechend wird übereinstimmend die Sinnentnahme als der eigentliche Zweck des Lesens anerkannt.(...) Lesen ist eine Ganzheit von Wahrnehmung, Speicherung, Denken und Schlußfolgern, Kreativität sowie emotionaler und sozialer Ansprechbarkeit und Reife. (...) Lesen zielt auf die Rückgewinnung der Rede aus den Zeichen der Schrift.[36] )
Übereinstimmend wird in all diesen Definitionen deutlich, daß die Informationsaufnahme durch das Lesen den Rezipienten befähigt, Zusammenhänge zu erfassen, potentielle Folgen abzuschätzen und eventuelle Reaktionen zu entwickeln sowie gedruckten Medien in vielfältiger Weise Informationen zu entnehmen oder sich unterhalten zu lassen.
Das Lesen von Texten hat viele Facetten: Man kann blättern, überfliegen, anlesen, etwas partiell oder im Ganzen lesen. In gesellschaftlicher Hinsicht erweist sich Lesen daher als ambivalente Tätigkeit. Im Augenblick des Lesens sondert es den Leser mit dem Erleben ab, integriert ihn aber andererseits auf intellektueller Ebene in einen größeren sozialen Zusammenhang, wobei Buchlektüre und geistige Flexibilität miteinander korrelieren.[37] ) Die starke Ambivalenz des Lesens drückt sich nicht nur durch die Art der Tätigkeit, sondern auch in seiner Nutzungsdringlichkeit aus. Im Alltag, wie auch im Beruf ist das Dechiffrieren von schriftlichen Informationen keine Seltenheit, häufig sogar die Grundvoraussetzung für effektive Arbeit. Gelesen im wörtlichen Sinne wird täglich. Regelmäßige festgelegte Buchlektüre ist dagegen nicht zwingend erforderlich und findet auch bei vielen Menschen nicht kontinuierlich statt.
Das Lesen von Büchern und umfangreicheren Texten ist - bis auf das Lesen in Schule und Ausbildung - eine selbstgewählte Tätigkeit. Dieses Lesen wird nur von den eigenen Bedürfnissen, nicht von äußeren Notwendigkeiten geleitet und kann völlig unterschiedliche Ausprägungen erfahren. Grundprinzip dieses Lesens ist, daß es freiwillig, einer inneren Motivation folgend geschieht. Für diese ist es nebensächlich, ob die Lektüre Fachzeitschriften, Heftchenromane oder Bücher umfaßt.
Neben dem bewußten Lesen von Fachtexten, Büchern und Briefen gibt es noch ein "alltägliches Lesen", das mehr oder weniger unbewußt geschieht. Unter diesem "alltäglichen Lesen" verstehe ich das Lesen, das häufig einem unbemerkten Registrieren gleichkommt. Straßenschilder, Plakatwände, Werbung, Anzeigenkampagnen, Überschriften einer Zeitung, Firmennamen, Leseanforderungen in der Schule und am Arbeitsplatz, all dies sind täglich - oft unfreiwillig - zu erlesende Texte.
Eine Decodierung dieser Schriftzeichen findet häufig im Vorübergehen statt. In diesem Kontext stellt Andreas Härter eine allgemeine Reizüberflutung und -überforderung der Rezipienten fest, in deren Gesamtzusammenhang alltägliche Texte in verkürzten Rezeptionsweisen wahrgenommen werden.[38] ) Das Training an komplexen Texten wird so zunehmend marginal, weil der Leser sich nicht mehr an einem Text fest oder an einem Text entlang liest; er überfliegt ihn, um sich im nächsten Augenblick bereits einem anderen optischen Reiz oder Text zu widmen. Die häufige Verwendung von kurzen Sätzen in Werbeaussagen soll diesem Leseverhalten Rechnung tragen. In ähnlich flüchtiger Wahrnehmungsweise versucht der Leser unverlangte Werbesendungen, die er in seinem Briefkasten findet, zu sondieren, ihnen eventuell relevante Informationen zu entnehmen ohne sich festzulesen.[39] )
Ebenso wie Härter geht auch Hugo Aust in seinen Überlegungen vom Einsatz literarischer Texte im Unterricht aus, allerdings bezeichnet Aust das sprachliche Verstehen in Verbindung mit dem Lesen als Aneignung vom Verständnis gedruckter Sprache. Derjenige, der den Text, den er liest, nicht versteht, liest in seinem Verständnis nicht wirklich.[40] )
Hans E. Giehrl seinerseits stellt das Leseverhalten von Schülern, ihre literarische Entwicklung sowie die Anbindung des Lesers an ein Buch in den Mittelpunkt. Bereits 1972 betonte er, daß die Vermittlung des Lesens sozialisationsabhängig ist, zugleich aber ihre Anbindung an die Literatur verloren habe.[41] ) Noch weiter entfernt von der literarischen Vermittlung stellt Martin Hussong das Lesen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen, indem er die Auffassung vertritt, daß Lesen sich als Qualifikation in verschiedenen Stufen zeigt, deren höchste das kritische Lesen ist. Kritisches Lesen ist für ihn ein reflektierendes Lesen, das nicht nur nach Thema und Intention der Texte fragt, sondern nach den dahinterstehenden Interessen; es baut auf Sprachkompetenz auf und beinhaltet zugleich die Fähigkeit, kritisch auf Texte zu reagieren.[42] )
Aus den kurz vorgestellten didaktischen Ansätzen kristallisierten sich unterschiedliche Lesequalitäten heraus, die sich zunächst in eine oberflächliche und eine tiefergehende unterscheiden lassen. In der vorliegenden Untersuchung werden diese anhand der Interviews untersucht. Die befragten Leser waren sich in der Regel durchaus bewußt, daß ihr Lesen vor allem in der Intensität sehr unterschiedlich ist.
Nach dem Erlernen des Lesens werden zahlreiche alltägliche Lesesituationen überhaupt nicht mehr als solche registriert, sondern mehr oder weniger unbewußt zur Kenntnis genommen. Hat man einmal gelernt, diese alltäglich unaufgefordert auftretenden Zeichen nebenher zu deuten, ist der Lesevorgang verinnerlicht und wird sozusagen ständig an den unterschiedlichsten Objekten erprobt. Bei wenig geübten Lesern bleibt es allerdings oft bei einem mühsamen Entziffern einzelner kurzer Sätze, Namenszüge, Werbeslogans usw. Zur Befriedigung spezifischer Bedürfnisse, wie der Informationssuche oder Unterhaltung, ist das Buch als Medium in seinem Gebrauch eingebettet in die Gemeinschaft der anderen, potentiell verfügbaren Print- und audiovisuellen Medien.
Geübte Leser verfügen in der Regel über die Fähigkeit, mit entsprechenden grammatischen und syntaktischen Kenntnissen auch Sätze zu lesen, die nur rudimentär zu erkennen sind oder Wortfolgen und Texte schnell zu überfliegen. Dies ist möglich, weil sie Kenntnisse von Wiederholungen, typischen Buchstabensequenzen, logische Folgen im Satzbau und in der Wortanordnung besitzen, so daß auftretende Redundanzen dann eigenständig aufgefüllt werden können. Der durchschnittliche Leser wird am häufigsten mit den vereinfachten Texten in Schulbüchern, populären Sachbüchern und journalistischen Texten konfrontiert, er wird im Alltag ein Buch, durch das er sich sprachlich oder inhaltlich überfordert fühlt, zur Seite legen. Entsprechend lassen sich geschulte Informationsleser in ihrer Textselektion durch den jeweiligen interessengesteuerten Bezug leiten.
Wie bereits erwähnt, ist allen Definitionen des Lesens gemeinsam, daß sie einen Lernprozeß voraussetzen und auf eine Sinnentnahme schlechthin abzielen. Da diese stark mit der Sprachkompetenz des Lesers verbunden ist, stellt Lesen einen immerwährenden Lernprozeß dar, und die Abgrenzung zwischen Erstlesen und weiterführendem Lesen ist häufig problematisch. Sie scheint nur über eine definitorische Festlegung dessen möglich, was als elementare Lesefertigkeit - etwa die selbständige Umsetzung von Wortschriftbildern in entsprechende Wortsinnbilder - angesehen werden kann.[43] )
Aus den Ausführungen dieses Kapitels wird ersichtlich, daß es keine verbindliche Definition von "Lesen" gibt, mit der sich das Lesen als Tätigkeit respektive Fähigkeit umfassend und klar eingrenzen läßt. Lesen wird von mir zunächst weitgehend wertneutral als eine Möglichkeit der Informations- und Sinnentnahme aus Texten und Schriftbildern begriffen. Dieses Lesen erfolgt aus den unterschiedlichsten Bedürfnissen und Motiven heraus und wird entsprechend der jeweils zu erfüllenden Funktion gewählt. Die Analyse der Interviews wird später auf diese Funktionen, Intentionen und Bedürfnisse sowie ihren Wandel in der Lesebiographie eingehen.
Die Volkskunde befaßt sich mit den Inhalten und Begriffen der Vorstellungswelten der Menschen. Ein solcher Begriff im Bereich der Vorstellungswelten ist z.B. das Stereotyp. Nach Georg R. Schroubek[44] ) sind Stereotype zum einen verfestigte, erstarrte Vorstellungen, zum anderen auch bewertende Vorstellungen, die auf Vorurteilen beruhen. Sie stehen in einem Spannungsverhältnis, einer Differenz zur erfahrbaren Realität. Sie verzerren die Wirklichkeit und schaffen zugleich eine neue - und zwar meist eine höchst problematische und problembeladene für diejenigen, die sich ihnen nicht entziehen können.[45] )
Die Stereotypenforschung gibt Einblick: "in die kulturprägende und das Alltagsleben bestimmende Kraft verfestigter, tradierter Bild- und Wertvorstellungen, in die Leistungen, aber speziell auch Gefahren stereotypisierter - und damit oft genug auch manipulierter oder manipulierbarer - Wirklichkeitserfahrung."[46] ) Um den Forschungsgegenstand genauer zu charakterisieren, hat Hermann Bausinger das Phänomen wie folgt definiert: "Stereotypen sind unkritische Verallgemeinerungen, die gegen Überprüfung abgeschottet, gegen Veränderungen resistent sind; Stereotyp ist der wissenschaftliche Begriff für eine unwissenschaftliche Einstellung."[47] ) Die volkskundliche Stereotypenforschung erforscht über die vielfältigen kulturellen Erscheinungen hinaus auch die sie bedingenden Bilder und Vorstellungen. Stereotype Vorstellungen sind Ausdruck kultureller Wertsysteme und ihres Stellenwerts innerhalb solcher Gefüge. Aus Untersuchungen über Stereotype sollen stets die ihnen zugrunde liegenden Normen und Werte hervorgehen.[48] )
Da Stereotypen nicht nach feststehenden Regeln gebildet werden, ist es problematisch, sie einzugrenzen und zu definieren, respektive ihren Verbreitungsgrad nachzuweisen. Inhalte und Bezüge von Stereotypen, die sich auf das Lesen beziehen, sind nur über die direkte Befragung erkennbar. Stereotype Aufassungen im Kontext des Lesens sind meistens eng mit einem bestimmten Verständnis von Bildung verknüpft.[49] )
Um die Frage nach einer Stereotypenbildung im Zusammenhang mit dem Lesen zu beantworten, müßte festgestellt werden, ob die Lektüre von Büchern in der Vorstellung vieler Menschen eine notwendige Voraussetzung ist, um zum Kreis der "Gebildeten" gehören zu können, bzw. ob es überhaupt noch für erstrebenswert erachtet wird, diesem Kreis anzugehören, dessen vermeintliche Literaturvorlieben und -kenntnisse das Stereotyp des Bücherlesers als gebildeter Zeitgenosse bestimmen. "Leser sind gebildet", mit diesem Satz wird häufig auf das Lesen von "guter" Literatur, Sachbüchern sowie anspruchsvollen Zeitungen verwiesen, ebenso wie mit diesem Stereotyp geworben wird.[50] )
Der oft wertenden Beurteilung der Lesestoffe der "Unterhaltungsleser" durch die "Bildungsleser" liegt ein negativ geprägtes Stereotyp stigmatisierenden Inhalts zugrunde, das in entsprechenden Bildungskreisen bereits allein über die Nennung einzelner Autorennamen definiert wird.[51] ) So konnte ich während der Vorgespräche zu den Interviews feststellen, daß sich Vielleser nicht ungern mit den positiv besetzten Stereotypen zum lesen in Verbindung bringen lassen. Im Auswertungsteil werde ich darauf noch zu sprechen kommen.
Kinder, Jugendliche und Erwachsene werden im täglichen Lebensumfeld, auf dem Weg zur Schule, zum Arbeitsplatz oder zum Einkaufen mit Werbetexten, Hinweisschildern, Wegweisern und anderen schriftlichen Informationen konfrontiert. Die in ihnen enthaltenen Botschaften sollen Lesekundige mehr oder weniger im Vorübergehen entschlüsseln. Diese alltäglichen Lesestoffe haben eine grundsätzliche Gemeinsamkeit: Sie werden unaufgefordert an den Leser herangetragen. Ihre Rezeption, vor allem, wenn sie gleichsam unbewußt geschieht, verweist darauf, daß das Sich-Zurechtfinden im täglichen Leben von einer umfassenden Orientierungsfähigkeit abhängt, die das Lesen als wesentlichen Bestandteil einschließt. Je größer die Lesegeschwindigkeit und die Übung im Lesen von Texteinheiten, Buchstaben und Bildern ist, desto selbstverständlicher und unbewußter werden die sich täglich wiederholenden Schrift- und Bildzeichen gelesen und verarbeitet und sicherlich ebenso oft auch ignoriert.
Es geht im folgenden nicht um Medienschelte oder einseitige Kritik an den Medien und ihren etwaigen negativen Einflüssen auf das Leseverhalten, sondern darum, Verknüpfungen des Mediennutzungsverhaltens in den unterschiedlichen Mediengruppen aufzuzeigen. Wenige Jahre nach der Etablierung des Fernsehens prophezeite Marshall McLuhan bereits im Jahre 1964[52] ), daß die elektronischen Medien die Lesekultur beenden und eine nachliterarische Epoche der Kommunikation provozieren würden. Er befürchtete ein Verschwinden der linear geordneten rationalen Strukturen der Schriftsprache durch das Fernsehen, in dessen Folge eine neue ganzheitliche Wahrnehmung durch die elektronischen Medien über die schriftliche Kulturvermittlung triumphieren und letztendlich an den Zuständen vorliterarischer Epochen anknüpfen würde.
Infolge der pessimistischen Kritik Neil Postmans[53] ) an der Entwicklung der modernen Medien und ihren Auswirkungen auf das Kommunikationsgefüge und die kulturellen Ausprägungen einer modernen Zivilisation, lebte die Diskussion um den "Untergang des Lesezeitalters" Mitte der 80er Jahre erneut auf. Postman betont bis in die aktuelle Gegenwart hinein die wachsenden schädlichen Einflüsse, besonders durch die Expansion der Fernsehprogramme und Sendezeiten.[54] ) Für ihn sind "die hochentwickelte Fähigkeit zu begrifflichem, deduktivem, folgerichtigem Denken, die Wertschätzung von Vernunft und Ordnung, der Abscheu vor inneren Widersprüchen" heutzutage durch die elektronischen Medien weitgehend ausgehöhlt, wodurch wir seiner Ansicht nach von "Minute zu Minute dümmer werden".[55] ) Dies prognostiziert Postmann in einer Zeit, in der die Angebote an Druckerzeugnissen und Fernsehsendungen so umfangreich wie nie zuvor sind. Trotz der vermeintlichen Bedrohung durch das sich stetig ausweitende Rundfunk- und Fernsehsystem in den öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern (duales Rundfunksystem), stiegen die Buchproduktionszahlen in der Bundesrepublik während der letzten Jahre kontinuierlich.[56] ) Die Besorgnis über einen Zerfalls der Buchkultur resultieren nicht zuletzt aus der Beobachtung, daß das Fernsehen ehemals kommunikative Funktionen des Buches übernimmt. Besonders bei Kindern wird ein Verkümmern von Lernfähigkeit, Abstraktionsvermögen und Phantasie durch die passsive Rezeption befürchtet.[57] )
Über das Lesen zu erschließende Medien wie Bücher und Zeitschriften können im jeweils individuellen Tempo rezipiert werden. Diese Tatsache erlangt dort Bedeutung, wo Medien idealerweise in der Geschwindigkeit ihrer Rezipienten benutzt werden sollten, wie z.B. bei jüngeren Kindern.[58] ) Eine massive Kritik am Fernsehen für Kinder brachte Marie Winn bereits 1979 vor. Ihre vehementes Credo gegen das Fernsehen ist sicherlich nicht mehr zeitgemäß, denn Kindern heutzutage das Fernsehen zu untersagen, hieße zugleich, sie von den Medienerfahrungen ihrer Altersgenossen auszuschließen.[59] )
Da sich das gesamte Kommunikationsgefüge verändert hat, können die Ausweitung und Perfektionierung der elektronischen Medien nicht allein zur befürchteten Verdrängung des Lesens führen. Vor allem Kinder und jüngere Menschen haben längst andere Formen der Wahrnehmung antrainiert als ihre Elterngeneration. Die schnelle Bildfolge von Comics oder Musik-Video-Clips wird von den Jugendlichen mittlerweile problemlos rezipiert, da sie durch ihre anderen Wahrnehmungserfahrungen an rasch wechselnde Bildsequenzen gewöhnt sind.[60] ) Strukturelle Veränderungen im Medienbereich, zu dem auch das Buch zählt, sind nicht zu übersehen. Unterstützt wird diese Entwicklung durch einen sich ausweitenden konzentrierten Verbund der Druckmedien und des Fernsehens.[61] )
Statt von einer "Konkurrenz" ist jetzt von einem "Komplementärverhältnis" der Medien zueinander auszugehen, das sich je nach den individuellen Schwerpunkten der Nutzer zugunsten des einen oder anderen Mediums verschiebt.
Speziell von der Fernsehnutzung unterscheidet sich das Lesen in einigen wichtigen Punkten: So handelt es sich um eine aktive Tätigkeit, die jederzeit dem eigenen Rythmus entsprechend abgebrochen, unterbrochen und wiederholt werden kann. Das Fernsehen dagegen wird weitgehend passiv rezipiert. Die Schnelligkeit der Fernsehbilder und ihre Vermittlung sind medien- und nicht rezipientenintern, so daß Wiederholungen nur bei Videoaufzeichnungen möglich sind.[62] )
Gerade weil sich in der Forschung zahlreiche Hinweise auf differierende Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstrukturen zwischen Fernsehen und Lesen finden, kann die Film- und Fernsehsprache nicht pauschal als Bedrohung des Lesens angesehen werden, sondern ist vielmehr als ein Beispiel für die kulturellen Möglichkeiten der Medien zu begreifen. In diesem Sinne ist die "Grundvoraussetzung zur Bewältigung der heutigen beruflichen und zwischenmenschlichen Aufgaben und zur Gestaltung der Gegenwart und Zukunft (ist) eine ausreichende Lesefähigkeit, denn nur dann kann der sachgerechte und kritische Umgang mit gedruckten und elektronisch abrufbaren Informationen erfolgen."[63] )
Kinder wachsen heutzutage in ein Medien- und Kommunikationsnetz hinein, dessen Dichte noch vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbar war. Printmedien wie Bilderbücher sind heute - wenn überhaupt noch - eher für jüngere Kinder die Leitmedien, denn vor allem ältere Kinder nutzen die audiovisuellen Medien bereits sehr intensiv.[64] ) Durch diese Medien erhalten sie direkte Einblicke in die Erwachsenenwelt und nähern sich über die Mediennutzung Inhalten und Informationen, die sie in abstrakter, schriftlicher Form nicht begreifen würden, da ihnen das Wissen um die Zusammenhänge und das entsprechende Einordnungsraster fehlt. Die Vernetzung des Alltags mit Medien schließt Kinder somit früh in eine Erwachsenenwelt mit ein.[65] )
Die Art der audiovisuellen Wahrnehmung hat prägenden Einfluß auf das weitere Mediennutzungsverhalten. So entstehen ständig neue Phantasiefiguren der Medienindustrie, deren Entwicklung auf eine rasche Umschlagsgeschwindigkeit verweist.[66] ) "Die Flut des allseits zugänglichen, vor allem die Hektik des unbedingt Wahrzunehmenden erzwingt wohl zunehmend einen selektiven, punktuellen, immer auf Tempo und unauslaßbare Sensationen erpichten Rezeptionsstil - letztendlich für alle Medien. Muße und Konzentration auf Einzelnes sind nicht mehr gefragt - und auch bei der wachsenden Redundanz nicht mehr nötig".[67] )
Seit der Gründung des Kinderfernsehens in der Bundesrepublik wird sein Angebot im Rahmen des gesamten Medienangebots für diese Zielgruppe und deren spezifischer Medienkonsum immer wieder kontrovers diskutiert.[68] )
Neben dem klassischen Medium Buch wurden alle anderen Medien, vor allem die neuen audiovisuellen, zunächst skeptisch und negativ bewertet. Diese Diskussion lebte mit der steigenden Produktion von Comics wieder auf und wurde oft unsachlich geführt, da nicht alle Voraussetzungen kindlicher Lebenswelten berücksichtigt wurden. Speziell für die Lesesozialisation sind die Familie und heute auch der Kindergarten[69] ) die beiden Orte, an denen Kinder beginnen, Erfahrungen über die soziale Welt zu sammeln. Vor allem die Familien bilden den Ausgangspunkt und die Grundlage für eine lebenslange Medienkompetenz, die aus dem wie auch immer gearteten Umgang mit Medien resultiert. Wer also nach dem Mediennutzungsverhalten von Kindern fragt, muß primär die Bedeutung der Medien für die Familie untersuchen.[70] )
Baacke u. a. haben in Interviews mit Jugendlichen festgestellt, daß der früher unter ihnen so verbreitete Typ der "Leseratte im Aussterben" begriffen ist,[71] ) da Jugendliche mittlerweile als multiple Mediennutzer zum Teil flexibler und erfahrener sind als ihre Elterngeneration. Zugleich scheint das Verhältnis Jugendlicher zum Buch von einer "Nüchternheit" geprägt zu sein, im Rahmen derer es ihnen eher als Instrument der Informationsbeschaffung dient und weniger als Medium der Phantasiestimulation. Für Jugendliche sind neben dem Buch auch zahlreiche Printmedien - wie Illustrierte, Zeitungen, Comics und Magazine - von Interesse.
Die beliebteste Freizeitbeschäftigung von älteren Kindern und Jugendlichen ist das Hören - und durch die Music-Clips mittlerweile auch das Sehen - von Musik, gleich welcher Gattung; an zweiter Stelle steht die Nutzung der audiovisuellen, gefolgt von den Printmedien an dritter und Personalcomputern an vierter Stelle. Insgesamt ist die audiovisuelle Medienrezeption so stark in den Alltag der heutigen Jugendgeneration - den Erwachsenen von morgen - integriert, daß von einer Habitualisierung gesprochen werden kann.[72] )
Der so nahezu alltägliche Umgang mit Medien wird von den Kindern und Jugendlichen nicht als isolierend empfunden, er dient im Gegenteil oft als Kontakt- oder Kommunikationshilfe oder signalisiert die Zugehörigkeit zu einer Gruppe.[73] ) Die umfassenden Strukturen der Medien sind für sie zunächst gar nicht zu erfassen und werden innerhalb der Medienangebote unterschiedlich erfahren. Kinder und Jugendliche nehmen als Rezipienten keineswegs allein die ihnen zugedachten Inhalte auf, sondern ihre Rezeption bezieht sich zunächst auf die grundsätzlich geschlechts-, alters- und statusneutralen Strukturen der Medien. Jugendliche haben weniger Berührungsängste den neuen Medien gegenüber als Erwachsene, aber Mediennutzung erfordert - wenn sie nicht in der Nutzung eines einzelnen Mediums stagnieren soll - durchaus Aktivität des Individuums sowie Festigkeit in der eigenen Meinung. Forschungen der letzten Jahre bezeichneten diese Fähigkeit als "Persönlichkeitsstärke", eine persönliche Disposition, die das Mediennutzungsverhalten entscheidend prägt.[74] ) Die Medienkompetenz kann durch entsprechende Aufklärung verbessert werden, allerdings nur in Zusammenarbeit mit den vermittelnden Institutionen. Bei Tageszeitungen, Hörfunk, Fernsehen und Personalcomputer finden sich zumindest in der Nutzungshäufigkeit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.[75] )
Bei der Suche nach Informationen entscheidet das jeweilige Interesse über die Auswahl des Mediums: Die audiovisuellen Medien dienen zur tagesaktuellen Information ebenso wie die Tageszeitung, das Buch zur umfangreicheren Wissensaufnahme, Unterhaltung und Ablenkung.[76] ) Das Buch in seiner Nutzungsfrequenz neben periodischen Medien einzureihen erweist sich als problematisch. Während bei letzteren das "Neue" jeweils das Vorherige als das "Alte" zurückdrängt, setzt das Buch seine Leser keinem Druck aus. Sein Inhalt veraltet nicht so schnell. Den Mediennutzern stehen in unserer Zeit stets neue und weiterentwickelte Medienangebote und Informationstechnologien zur Verfügung, die ein verändertes Kommunikationsverhalten der Bevölkerung hinsichtlich Information, Bildung, und Unterhaltung implizieren.[77] ) Das Kommunikationsverhalten läßt auf eine Polarisierung der Bevölkerung schließen: auf der einen Seite die, die das mediale Angebot in seiner Vielfalt zu nutzen wissen und auf der anderen Seite jene, die sich bei der Auswahl beschränken und generell passiven und zerstreuenden Medienangeboten einen höheren Stellenwert einräumen.[78] )
Leser werden in der Forschung eigentlich immer der Fraktion derer zugerechnet, die sämtliche Facetten des kulturellen Angebotes zu nutzen wissen. Deshalb erscheint es infolge des stetig erweiterten Medienangebotes notwendig, das Lesen gerade bei denen, die sich noch in der Entwicklung befinden zu fördern: bei Kindern und Jugendlichen. Auf die Ansätze und Vermittlungsinhalte dieser institutionellen und in der Regel außerfamiliären und außerschulischen Leseförderung gehe ich im Nächstfolgenden ein.
3. Institutionelle Leseförderung
Lesesozialisation und -förderung wird vorrangig von den sozialisierenden Institutionen betrieben: zunächst von der Familie und den sie ersetzenden oder ergänzenden Einrichtungen, wie Tagesmüttern, Kindergärten und -horten, dann auch von den Vor- und Grundschulen, weiterführenden Schulen und zum Teil in den Ausbildungstätten.
Da Lesekultur in sozialen Milieus entsteht, muß "wer also Lesen fördern will, (...) die entsprechenden Milieus der Lesekultur fördern bzw. Lektüre in lesefeindlichen Milieus heimisch machen".[79] ) Das Hauptproblem dieser Leseförderung ist, diejenigen zu erreichen, die wirklich gefördert werden müssen, und ihr dauerhaftes Interesse zu wecken.
Die Intentionen der Leseförderung sind ausgerichtet auf die jeweilige Zielgruppe, auf das Erlernen, Vertiefen, Habitualisieren oder Erneuern der Lesefertigkeit, die Vermittlung von Kenntnissen schriftlicher Kultur und ihrer Medien. Die zur Literalisierung weisende Leseförderung geschieht unter anderen Prämissen als die Leseförderung, die elemen-tares Lesen anregen soll. Besonders die vom Buchhandel initiierte Leseförderung richtet sich fast immer an bereits literalisierte Menschen. Hauptziel dieser Förderungen ist es nicht, existierende, aber rudimentäre Kenntnisse zu stabilisieren, sondern vorhandene Leseinteressen zu vertiefen, zu erhalten und zu erweitern. Darüber hinausgehend sollte sich Leseförderung besonders an diejenigen wenden, die im Lesen und im Umgang mit den entsprechenden Printmedien ungeübt sind. Sie brauchen Handlungsanweisungen und Anregungen für die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, gerade auch von Büchern.
Der vermeintliche Rückgang der Buch- und Printmediennutzung sowie eine ansteigende Leseunlust unter den Jugendlichen ließen bereits Mitte der 70er Jahre eine übergreifende Leseförderung notwendig erscheinen. Die Erkenntnisse über die Bedeutung des Lesens für die kognitiven Entwicklungsvorgänge beim Klein- und Schulkind, z.B. für die Sprachentwicklung, wurden ernster genommen, ebenso wie die deutliche Reduktion der Lesehäufigkeit im familiären Mediennutzungsverhalten, die durch den bevorzugten Gebrauch audiovisueller Medien verstärkt wurde. Angestrebt wurde eine in ihren Zielen gestaffelte Leseförderung[80] ), die dann zusätzlich im Kontext des lebenslangen Lernens verankert sein soll.[81] ) Es handelt sich bei der Leseförderung vielfach um eine spezifische Form der "Erinnerungsarbeit", die bereits internalisierte, aber nicht praktizierte oder vergessene Verhaltensweisen neu wecken soll.
Im Zusammenhang mit den obigen Forderungen ist zu hinterfragen, ob die Leseförderung bisher bereits im Vorfeld von einem Idealtyp des Lesers ausging, der eigentlich erst das Resultat erfolgreicher Leseförderung sein sollte: Ein Leser, der regelmäßig eine bestimmte Anzahl von Büchern kauft, liest und verschenkt und für die Befriedigung seiner Informationsinteressen gleichermaßen Fernsehen, Radio und Tageszeitungen benutzt.
Für die Leseförderung in der, bzw. durch die Familie gibt es keine verbindlichen Normen. Die innerfamiliäre Leseförderung wird im Kontext des gesamten familiären Mediennutzungsverhaltens wirksam und ist häufig lebenslang prägend. Lesen ist, mehr denn je, nur eine von mehreren Kommunikationsformen und -möglichkeiten in der Familie. Lesefördernde Konzepte können dementsprechend nicht allein auf die Praxis des Lesens orientiert entwickelt werden. Anhand der gesamten Medienrezeption in der Familie könnten aufgrund entdeckter Defizite im familiären Kommunikationsgefüge Förderungskonzepte entwickelt werden.
Lesefördernde Maßnahmen von außen werden in der Regel mit dem Eintritt in den Kindergarten oder Hort wirksam, deshalb aber nicht zwangsläufig innerfamiliär aufgegriffen. Einige Leseförderungsprojekte bemühen sich um eben diese Einflußnahme auf die familieninternen Mediennutzungsstrukturen. Die Eltern sollen für diesen, nicht zuletzt auch kulturelle Normen vermittelnden, Erziehungsbereich sensibilisiert werden.
Kritische Stimmen, wie Kurt Lüscher, wiederum fordern eine regelrechte Medienerziehung für die gesamte Familie oder sozialpolitische Maßnahmen, die ein Umdenken in einer ausschließlich auf das Fernsehen ausgerichteten Mediennutzung bewirken sollten.[82] ) So findet Staatliche Leseförderung primär über die finanzielle Unterstützung von Forschungsgutachten und Projekten, die auf lesefördernde Maßnahmen abzielen statt. Länderübergreifende Leseförderungs-maßnahmen oder -kampagnen existieren derzeit nicht.[83] )
Schneller als die Politik reagierte der Buchhandel auf das vermeintliche Defizit an Leseförderungsmaßnahmen. So wurde als erste Institution zur Leseförderung 1977 die Deutsche Lesegesellschaft e.V. gegründet. Neben den Grundlagen der Leseförderung sollten auch Strategien zur Aufwertung des Mediums Buch entwickelt, sowie neue Ansätze der Lese(r)forschung aufgezeigt werden. Zusätzlich sollte die Leseförderung für Erwachsene und Jugendliche - möglichst in Zusammenarbeit mit Bibliotheken, Büchereien und den Institutionen der Erwachsenenbildung - initiiert werden.[84] ) Nach eigenen Aussagen der Deutschen Lesegesellschaft erfuhren besonders die publizierten Buchempfehlungslisten eine große Popularität.[85] )
Mit der Paraphierung der Stiftungsurkunde am 2. Mai 1987 durch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Bertelsmann und die Deutschen Lesegesellschaft wurden die verstreuten Aktivitäten zur Leseförderung in der "Stiftung Lesen" zusammengefaßt und die Arbeit der Deutschen Lesegesellschaft fortgesetzt. Im März 1988 nahm die Stiftung ihre Tätigkeit auf, mit dem Ziel der "umfassende(n) Förderung des Lesens von Buch, Zeitschrift und Zeitung in allen Bevölkerungskreisen sowie der Pflege der Lese- und Sprachkultur."[86] )
Mit diesem Konzept sollte nicht nur eine konkrete bevölkerungsbezogene Leseförderung initiiert werden, sondern auch das öffentliche und politische Bewußtsein für die Bedeutung des Lesens in Kultur und Gesellschaft sensibilisiert sowie ein Beitrag zur Lese- und Kommunikationsforschung geleistet werden.[87] )
Der angegliederte kostenfreie "Informationsdienst Lesen" der Dokumentationsstelle gibt zum einen Spezialbibliographien heraus, erteilt aber auch direkte individuelle Auskünfte. Außerdem wird hier der nationale und internationale Forschungsstand in Sachen Lesen und Leseförderung aufgearbeitet.[88] ) Nicht zuletzt unterstützt die Stiftung sämtliche Institutionen, die üblicherweise schon immer das Lesen förderten bzw. protegieren sollten: Elternhaus, Kindergarten, Schulen, Volkshochschulen und andere Weiterbildungseinrichtungen sowie Bibliotheken.
Zur Unterstützung der Lehrenden aller Schulstufen und Schularten gibt es von verschiedenen Seiten Handreichungen, Unterrichtsvorbereitungen und Leseempfehlungen mit didaktischen Hinweisen. Dazu gehören kommerziell vertriebene didaktische Hilfen ebenso wie die von den meisten der führenden Taschenbuchverlage gratis angebotenen Unterrichtsvorschläge zu einzelnen, besonders geeigneten Titeln mit alterspezifischen Leseempfehlungen.[89] ) Für die Schulen besteht jeweils klassenweise die Möglichkeit, an verschiedenen Wettbewerben teilzunehmen.[90] ) Die genannten Förderungswettbewerbe wurden im Verständnis dessen entwickelt, daß Leseförderung in der Vermittlung von Lesefertigkeit zugleich Lesebereitschaft und Medienkompetenz implizieren kann. In diesem Sinne sollten zunächst die Multiplikatoren und Vermittler sowie Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen angeregt werden, sich mit den Grundlagen der Leseförderung auseinanderzusetzen.[91] )
In der Bundesrepublik Deutschland werden allein in den alten Bundesländern an die 300 Literaturpreise vergeben; darunter ca. 25 Kinder- und Jugendbuchpreise, deren Stifter, Ausschreibungen, Zielsetzungen und Intentionen heterogen sind.[92] ) Daneben gibt es diverse Ehrungen in Form von Empfehlungs-, Lese- und Literaturlisten.[93] )
Auf die Preise im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur wird im folgenden im Kontext mit der Frage nach einer potentiellen lesefördernden Auswirkung in dieser für Habitualisierungen besonders geeigneten Lebensphase etwas näher eingegangen. Denn zumindest in den Ausschreibungen zu zahlreichen Preisen wird häufig das Anliegen formuliert, mit ihrer Vergabe zur Leseförderung beitragen zu wollen.
Der Deutsche Jugendliteraturpreis (bis 1980: Deutscher Jugendbuchpreis) ist bis heute der einzige vom Staat vergebene Literaturpreis der Bundesrepublik Deutschland und wird seit 1956 jährlich vom Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit vergeben. Er wurde vom Bundesministerium als Reaktion auf die, in der Nachkriegszeit sogenannte, "Schmutz- und Schundliteratur" konzipiert, denn in der Prämiierung von "hervorragenden, beispielhaften Werken" sah man eine Möglichkeit, einen Gegenpol zu literarisch schlechten Kinderbüchern zu setzen. Im wesentlichen wurden und werden drei primäre Ziele mit der Vergabe verfolgt: Mit dem Preis soll erstens die literarische und ästhetische Qualität der Kinder- und Jugendliteratur gefördert werden. Zweitens soll er einen Beitrag zur außerschulischen politischen und kulturellen sowie seit den späten 70er Jahren vor allem auch der individuellen Jugendbildung darstellen, und drittens sollen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Orientierungshilfen bei ihrer Suche nach geeigneter Lektüre an die Hand gegeben werden.[94] ) Es handelt sich dabei um einen Buch-, nicht Autoren- oder Förderpreis. Die anläßlich der alljährlichen Preisverleihung erscheinenden Preis- und Auswahllisten sind als Beitrag zur Lese(r)förderung konzipiert.[95] ) Zugleich mit der Prämiierung und der Veröffentlichung in der Auswahlliste werden zahlreiche Titel in den Blickpunkt des Interesses der Multiplikatoren und Käufer gerückt.[96] ) Ergänzend zur Rezeption in der Öffentlichkeit weisen die Nominierungen jedes Jahr wieder auf die speziellen Trends in der Kinder- und Jugendliteratur hin.
Die Mehrzahl der zu vergebenden Preise für Jugendliteratur ist auf bestimmte Themenbereiche ausgerichtet, deren Ziel die Vermittlung politischer, religiöser, individueller und sozialer Werte unter der Beachtung literarischer und ästhetischer Kriterien ist.[97] ) Einige sind nicht als reine Bücher-, sondern als Medienpreise konzipiert und beziehen Filme, Hörspiele und Ausstellungskonzepte in die Auswahlbestimmungen mit ein.[98] )
Da die ausgezeichneten Bücher überwiegend von einer Minderheit bewußter Leser, Eltern und Erzieher gekauft, verschenkt oder rezipiert werden, die weniger auf Leseförderung als vielmehr auf kompetente Beratung angewiesen sind, können die Auswirkungen von Literaturpreisen auf die Leseförderung jedoch eher als marginal bewertet werden. Für Bücher, die unterhalten und problemlos zu rezipieren sind, finden sich leichter Käufer.
Literaturpreise und die damit verbundene Hervorhebung einzelner Titel motivieren hauptsächlich an Literatur ohnehin Interessierte und wecken bei ihnen Neugierde für neue und unbekannte Texte. Menschen, die in ihrer Lesestofforientierung noch auf lesefördernde Maßnahmen und Unterstützung angewiesen sind, erhalten durch das Ausloben von Literaturpreisen wenig Hilfe für die eigene Lesestoffwahl. Auch Auswahl- und Empfehlungslisten mit preisgekrönten Büchern regen nur bereits habitualisierte Leser und Schenker an. Von den Nicht-Lesern werden Preisvergaben und Herausstellungen eher marginal wahrgenommen.
4. Der Leser - bisherige Typisierungsansätze
Vielfach bemühte man sich in der Forschung um eine Beschreibung, Kategorisierung, Typisierung oder Definition des Phänomens "Leser". Dabei liegen den Versuchen, den Leser aufgrund beobachtbarer und abfragbarer Tatsachen zu kategorisieren, verschiedene Intentionen zugrunde. So wären zum einen die Bemühungen der Didaktik zu nennen, die versuchen die kindlichen und jugendlichen Leser mittels Typenbildung verschiedenen Veranlagungen des Erlernens und des Umgangs mit Büchern zuzuordnen. Und zum anderen die Buchmarkt- und Kommunikationsforschungen, die über Typisierungen zugleich Lesegewohnheiten und Käuferverhalten zu ermitteln trachten.
Die ersten Bemühungen, Leser anhand einer Typologie zu unterscheiden, galten der Gruppe der jugendlichen Leser. Vertreter der Psychologie, Literatursoziologie oder Literaturpsychologie versuchten sich später auch an einer Lesertypenbeschreibung erwachsener Leser. Während in den älteren Untersuchungen die quantifizierbare Nutzung der Printmedien und besonders die Buchlektüre analysiert wurde, gehen die neueren Untersuchungen auf das Leseverhalten und die Lesehäufigkeit im Kontext der gesamten Mediennutzung ein. Mehrheitlich werden die Leser in diesen Arbeiten nach Typen unterschieden, die anhand der Häufigkeit und Intensität der Medien- und Buchnutzung, nach den rezipierten Lesestoffen, den persönlichen Neigungen der Leser oder aber dem Leseklima im jeweiligen Elternhaus ermittelt werden.
Zunächst möchte ich kurz auf den Begriff des Typus eingehen, da Typologien eine Möglichkeit unter vielen Arten von Hilfssystemen sind, die entworfen werden, um den Überblick und die Einordnung von Phänomenen zu erleichtern.[99] ) Sobald Typologien durch Forschungsresultate als erwiesen scheinen, werden sie zum stellvertretenden Abbild der Realität und darüber leicht zu realitätsverstellenden Stereotypen. Um dem vorzubeugen, sollte im Zusammenhang mit den auf Individuen bezogenen typologischen Systemen "(...) in der Praxis indessen nicht zu früh mit der typisierenden Klassifikation begonnen werden, denn erst nach anschaulicher Beschreibung der zum Typ gehörenden Besonderheiten, Generalisierungen und Gleichförmigkeiten könnte gewährleistet sein, daß menschliches Leben auch tatsächlich aus den Systematisierungen heraus erkennbar wird."
Dabei ist es wichtig, daß die Typenbildung nicht allein auf erkennbaren Persönlichkeitstypen basiert, denn diese sind nicht komplex genug. Die Abhängigkeit typischer Verhaltensweisen vom jeweiligen sozialen und historischen Kontext und den entsprechenden Situationen gilt es vielmehr zu erkennen und zu beschreiben. "(...) Typenbildung soll jedoch nicht allein auf dem wenig komplexen Niveau des Persönlichkeitstyps angestrebt werden. Vielmehr ist es das Ziel, typische Verhaltensweisen in ihrer Abhängigkeit von je besonderen historischen und sozialen Situationen zu erkennen und unter situationsübergreifendem Aspekt zusammenzufassen. Auf diese Weise könnten "Handlungstypen", "Typen von Situationsbewältigungen", "Typen von Lebensentwürfen" formuliert werden, die wiederum etwa zu den "Typen von Karrieren" oder "Lebensschicksalen" zusammengefaßt werden können."[100] )
Um Phänomene beurteilen zu können, ist es also notwendig, sie des besonderen Überblicks halber nach festgelegten Kategorien zu ordnen, zu typisieren und auf der Basis dieser Ergebnisse weiter zu forschen und zu exemplifizieren. Häufiges Resultat von Typisierung ist das Herausbilden von Idealtypen, die dann stellvertretend als dominante Typen verzeichnet werden. Den Idealtypen lassen sich Realtypen gegenüberstellen, deren Festschreibung sich an der Realität orientiert und nicht am hypothetischen Ideal. Der Vollständigkeit halber möchte ich einige der bislang in der Didaktik entwickelten Typen von Lesern vorstellen. Ich beginne mit den Typisierungsansätzen bei Kindern und Jugendlichen, dies vor allem deshalb, weil in der Interpretation der von mir erhobenen Interviews deutlich wird, wie problematisch eine verbindliche Typisierung der Leser ist, wenn sie aufgrund des persönlichen Entwicklungsstandes erfolgen soll.
Die historisch wohl erste Typenbeschreibung jugendlicher Leser findet sich in der Vorrede zu Christian Felix Weißes (1726-1804) "Kinderfreund". Weiße präsentierte jugendliche Lesertypen, indem er über lesende Kinder in erzählender Form berichtete und durch jedes Kind einen Lesertyp symbolisierte.[101] ) Er konstruierte vier Realtypen (Karl, Philoteknos, Fritz und Charlotte), die nach wie vor beachtenswert sind, denn sie entsprechen im Grunde den heute noch zu findenden Typen des Informations- (Karl), des leidenschaftlichen- (Philoteknos), des Unterhaltungs und Ablenkungs- (Fritz) sowie Nichtlesers (Charlotte).[102] )
Der Kunsterzieher H. Wolgast bemühte sich ebenfalls um eine literaturpädagogische Typologie des jungen Lesers. Indem er pro Lesertyp ein Ordnungskriterium berücksichtigte, stellte er die folgende Typenreihe auf:
- Vielleser mit Niveau
- Typen Wenigleser a und b
- Typus des aktiven Lesers
- abhängiger, lenksamer, regelmäßiger Leser
- der persistierende (beharrende) Lesertyp: liest immer dieselben Bü- cher und steht im Kontrast zum
- linear fortschreitenden Typus, der sich von Buch zu Buch fort- liest.[103] )
Sowohl Weiße als auch Wolgast zogen ihre Schlußfolgerungen über das, was sie beim Lesevorgang beobachteten. Mehr als 150 Jahre nach Weiße unternahm der Pädagoge Richard Bamberger einen weiteren Versuch zur Typologie der jugendlichen Leser. Er warnte zugleich davor, die Typisierung zu sehr über Adjektive zu prägen und den Typus dadurch mit positiven oder negativen Wertakzenten zu besetzen. Er umreißt anhand des bevorzugten Lesestoffes vier Lesertypen, indem er einen "romantischen Typ", einen "realistischen Typ", einen "intellektuellen Typ" und einen "ästhetischen Typ" unterscheidet. Für seinen Typenkatalog forderte er eine schulpraktische Bewährungsprobe.[104] )
Auch Karl E. Maier befaßte sich mit Lesertypen bei "Junglesern". Er entwickelte "Interessentypen", die romantisch, realistisch und moralisch veranlagt sind, sowie "Erlebnistypen", die er als kühl, nüchtern, aber auch einfühlend einstufte. Seine Einteilung ist ebenfalls lesestofforientiert und wird im sichtbaren Leseverhalten weiter differenziert in Bücherwurm, Gelegenheitsleser, Zeilenfresser, verweilender Leser.[105] ) In seiner Typenfestlegung legte Maier Wert darauf, verschiedene Betrachtungsebenen nicht miteinander zu verquicken und keinerlei Merkmale miteinander zu konfrontieren, die inhaltlich nicht in Einklang stehen.
In seiner Monographie "Der junge Leser", ging Giehrl nur ansatzweise auf eine Lesertypologie ein, denn sein Interesse galt den Unterschieden in der seelisch geistigen und künstlerischen Erschließung des Textes und weniger den typologischen Unterschieden im Ablauf des Lernprozesses. Er hat drei Grundantriebe des Lesens herausgearbeitet: das informatorische, das evasorische und das literarische Lesen - und erweitert diese durch vier Hauptlesertypen a) den funktional-pragmatischen Leser; b) den emotional-phantastischen Leser; c) den rational-intelektuellen Leser; d) den literarischen Leser.[106] ) Ergänzend bewertete Giehrl die Persönlichkeit der Leser aufgrund der Lektüreinhalte.
So vielfältig die Bemühungen um eine definitorische Festlegung des Lesers sind, so wenig läßt sich ein Prototyp des Durchschnittslesers ermitteln. Die bisherigen Typisierungsversuche sind als richtungsweisend anzusehen, nicht aber als verbindliches Gefüge, auch wenn bestimmte Interessen oder Verhaltensweisen immer wieder verzeichnet werden können.
Allen vorgestellten Leser-Typisierungsansätzen ist gemeinsam, daß sie sich an der Art und Weise wie Literatur rezipiert werden sollte orientieren, und nicht danach ausgelegt sind, wie die Leser die Literatur lesen und für sich einsetzten. Es werden weniger die Leseprozesse berücksichtigt als "vielmehr die Kategorisierungen von Gelesenem."[107] ) Diese Erkenntnis verweist darauf, wie wenig bislang über die Modalitäten des Lesens und die Abhängigkeit der Leser von bestimmten Textarten und -inhalten wirklich bekannt ist. Mit dem empirischen Teil meiner Untersuchung möchte ich weiter zur Erhellung dieser Zusammenhänge beizutragen.
Auf die Beschreibung der Lesertypen und der Erfassung der Lesevorgänge in der Leserpsychologie und Lesersoziologie gehe ich im folgenden nicht ausführlich ein. Verwiesen sei auf die Fachliteratur und es möge der Hinweis genügen, daß diese sich vorrangig auf die rezeptionsbezogenen Aspekte des Verhältnisses von Leser und Text konzentrieren.
Friedrich Kainz's "Psychologie der Sprache"[108] ) enthält ebenfalls ein Kapitel zu Lesertypen, worin nach dem Ablauf des Lesevorgangs der "visuelle", der "akustisch-motorische" und der "motorische" Lesertypus unterschieden werden. Auch Kainz ist der Aufassung, daß Lesen verschiedene Anlagen fördert, die für die Persönlichkeitsbildung fundamental sind und in viele weitere Bereiche hineinwirken. Neue Aspekte erhielt die Leser-Typologie durch den literatursoziologischen Beitrag von Haseloff, der im Rahmen seiner umfassenden Analyse "Das Buch im Erleben der Jugendlichen" die Frage stellte, welche Motive Jugendliche dazu veranlassen, im Rahmen ihrer Freizeitaktivitäten das Lesen zu bevorzugen. Diese Erweiterung des Forschungsfeldes um die Berücksichtigung der Freizeitaktivitäten war neu und notwendig. Haseloff erabeitete vier fundamentale Motivationen, die die differenzierende Bevorzugung ganz bestimmter Freizeitaktivitäten steuern. Auch er legt vier Typen von Lesern fest, unter denen der erste dem "Unterhaltungsleser" entspricht, der zweite dem "Interessen- und Fortbildungsleser" mit dem Hauptinteresse Weiterbildung - unter einer vom Lebensalter abhängigen starken Differierung. Der dritte Typ ist der "Kommunikationstyp", ein Wenigleser, und der vierte der "Typus expansiver Lebensaneignung", ein potentieller Leser mit dem Ziel der Lebensorientierung anhand von Sachbüchern.[109] )
Die in der frühen Kommunikations- und Buchmarktforschung entwickelten Lesertypologien orientierten sich, im Gegensatz zu den bislang vorgestellten, nicht am beobachtbaren, sondern am abfragbaren Leseverhalten. Als wichtiger neuer Impuls für die Forschung ist hier noch einmal Schmidtchens Studie "Lesekultur" (1968) zu nennen, die erstmals deutlich werden ließ, welche Fülle an Detailstudien für eine Typenbildung (hier von erwachsenen Lesern) erforderlich ist. Die Resultate zeigten, daß dominierende literarische Leseinteressen noch lange keine Lesertypen ergeben. Zwar korrespondieren einzelne Literaturgruppen mit Lesertypen, entsprechen sich aber nicht immer und ausschließlich. In der Hinzuziehung und Berücksichtigung der Motivationsgruppen glaubte man in den Anfängen der modernen Leserforschung sichere Beurteilungskriterien gefunden zu haben; das Bemühen um eine schlüssige, nicht unbedingt kontrastive Lesertypologie ist jedoch noch nicht abgeschlossen.[110] ) Nicht zuletzt bleiben durch die Orientierung der Lesertypologien am Kanon der Literatur, gerade alltägliche Gebrauchstexte weitgehend unberücksichtigt und außerhalb der Kategorienbildung.
In seiner Studie "Kommunikation und Buch", entwickelte Unholzer eine achtfache Typenbildung, die erstmals sowohl die Leser als auch die Fernsehnutzer umfaßte.[111] ) Die Studie "Kommunikationsverhalten und Medien" von 1989 ist eine der ersten Untersuchungen, die den Leser und sein Medium, das Buch, im Kontext des gesamten Medienverbundes analysiert. Das Leseverhalten wird im Rahmen des gesamten Kommunikationsangebotes untersucht, wobei davon ausgegangen wurde, daß Leseverhalten nicht allein von formaler Bildung und sozialem Status abhängig ist. Der Leser gilt in seiner Entwicklung als verschiedenen Einflußfaktoren ausgesetzt, die entsprechende habitualisierte Mediennutzungsgewohnheiten hervorbringen. Durch die Erweiterung der jüngeren Untersuchungen auf das gesamte Medienspektrum wurden nicht einzelne Lesertypen ermittelt, sondern aufgrund des Datenmaterials Typenreihen entwickelt, die auf den strukturellen und individuellen Voraussetzungen der Mediennutzer basieren. Eine erste Reihe von fünf Typen bezieht sich auf die herausgearbeiteten Sozialisationsbedingungen[112] ) :
1. Sozialisation in einem kulturell kultivierten Klima
2. Gesteuerte Anleitung zum Lesen
3. Eigene Eroberung der Bücherwelt/anregendes Leseklima außerhalb des Elternhauses
4. Sozialisation mit Massenmedien
5. Kulturelles und kommunikatives Vakuum.
Auf der Basis dieser sozialen Rahmenbedingungen wurden mittels Clusteranalyse sieben Persönlichkeitstypen ermittelt, mit dem Ziel, die Zusammenhänge zwischen Mediennutzung und den Persönlichkeitstyp deutlich herauszustellen.[113] ) In der Typenreihe der Persönlichkeitsstärke nennt die Studie folgende Typen:
1. Die Escapisten
2. Die Genießer
3. Die sozial Kommunikativen
4. Die Pflichterfüller
5. Die Leistungsorientierten
6. Die Selbstverwirklicher
7. Die Überangepaßten
Buchleser finden sich am häufigsten in den Gruppen fünf und sechs; in beiden Gruppen sind die jungen Menschen intensive Buchnutzer. Persönlichkeitsstruktur und Alter kristallisierten sich somit als wichtigste Determinanten einer habitualisierten Buchnutzung heraus.
Die Studie stellt desweiteren eine Verbindung von Lesen und der damit verbundenen gesamten Mediennutzung her und fragt nach verschiedenen Freizeittypen. Da Mediennutzung überwiegend in der Freizeit stattfindet, stellt die Gestaltungsabsicht für die Freizeit einen zentralen Kontext für die Wahl der zu nutzenden Medien dar.[114] ) Bei der generellen Nutzungshäufigkeit der Massenmedien in der Freizeit zeigen sich - im Gegensatz zur Buchnutzung - zunächst nur geringfügige Unterschiede. Die ermittelten Typen lassen sich in "habitualisierte" - und "Nichtleser" trennen. Die einzelnen Interessentypen unterscheiden sich aber stark in ihrer Mediennutzung: Jene, die eine niedrige Schulbildung haben, aber dennoch gewohnheitsmäßige Leser sind, hatten einen höheren Informationsstand als diejenigen ihrer Bildungsgruppe, die nur gelegentlich oder gar nicht zum Buch greifen. Diesen Resultaten nach stellt sich Lesen als ein Zusammenspiel von Sozialisations-, Persönlichkeitsstärke-, Freizeit- und Interessentypen dar, das durch die unterschiedliche Intensität der einzelnen Faktoren Quantität wie Qualität des Lesens bestimmen.[115] )
Auch in der Media-Werbeträger-Forschung bemühte man sich um die definitorische Zuordnung eines Rezeptionsverhaltens zu einem "Lesertyp": Die zentralen Ergebnisse der Hörer- und Zuschauer-, wie analog der Reichweitenforschung der Medien, sind unter anderem Aussagen über die Struktur der Leserschaft. Sie beziehen sich allerdings in der Regel auf die Leser von Zeitschriften und Zeitungen, die, was das Lesen betrifft, an anderen Kriterien gemessen werden als die Leser von Büchern.[116] )
In den jüngeren Forschungen[117] ) wurde zunächst auch nicht nach Lesertypen gefragt, sondern nach den jeweiligen Mediennutzungsmustern. Anhand dieser Muster wurden fünf Mediennutzer-Typen unterteilt: a) Intensivnutzer vieler Medien, b) Intensivnutzer von Büchern, c) Intensivnutzer von Computermedien, d) Durchschnittliche Mediennutzer,
e) Intensivnutzer weniger Medien,[118] ) aus denen wiederum vier Lesertypen erarbeitet wurden: erwartete Vielleser, erwartete Wenigleser, unerwartete Vielleser sowie unerwartete Wenigleser.[119] ) Die hier vorgenommene Typisierung basierte auf der Annahme einer sozialisationsabhängigen Entwicklung zum Mediennutzer und damit zum Leser. Ergänzt werden diese Untersuchungen von lesebiographischen Studien wie denen von Erich Schön oder Werner Graf, in denen Lesebiographien ebenfalls als Teil von Medienbiographien verstanden werden.[120] )
Für die vorliegende Arbeit stellt sich die Frage, wie heutige sinnvolle Orientierungen für eine Lesertypologie ausgerichtet sein sollten und ob sich die Bedeutung des Lesens im Lebenslauf überhaupt im Rahmen einer Typologie ermessen läßt. Es ist anzunehmen, daß Lesertypen keine starren Gebilde sind, sondern sich entsprechend mit dem Lebenslauf verändern und neu formieren. In der Analyse der Interviews wird auch untersucht, ob die Zugehörigkeit zu einem Typ als lebenslang gültig angenommen werden muß, oder ob ein Mensch im Laufe seines Lebens nicht vielmehr verschiedenen Leser-Typen entspricht, sich als Leser verändert und weiterentwickelt.
Vor dem Hintergrund der hier vorgestellten Ansätze einer Typisierung des Lesers oder moderner: des "Mediennutzers", soll mit Hilfe der Analyse und Interpretation der fokussierten Interviews die Bedeutung des Lesens im Lebenslauf ergründet werden. Es wird danach gefragt, wie die hier skizzierten Leser, die in ihrem Verhalten und in ihrer Genese so gründlich erforscht zu sein scheinen, einen Zugang zu den Lesemedien entwickeln, wie sie diese in ihr Leben und in ihre unterschiedlichen Lese-Biographien integrieren und für sich nutzbar machen. Dazu sollen vorhandene Strukturen und Gemeinsamkeiten aufgespürt werden, anhand derer sich ermitteln läßt, wie und welche - womöglich wechselnde - Bedeutung das Lesen im Leben erlangt. Anders als in der demoskopischen Betrachtung soll das Bemühen vielmehr dahin gehen, die individuelle Bedeutung des Lesens im Lebenslauf aufzuspüren. Dabei erscheint "habituelles Lesen (...) nur als einer von vielen Bausteinen, die in ihrer Gesamtheit sich zu einer Kommunikationsstruktur verdichten, die die Voraussetzung für eine optimale Teilnahme am gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß
ist."[121] ) Dementsprechend wird anhand der lebensgeschichtlichen Aussagen auch zu überdenken sein, ob das Leseverhalten wirklich ausschließlich von sozialen Bedingungen geprägt wird oder ob sich nicht auch andere Konstellationen im Lebenslauf zeigen, die das spätere habitualisierte Leseverhalten und die Bedeutung und Verankerung des Lesens im Leben bestimmen.
Fußnoten:
[1])Vgl. Schenda, Rudolf: Leser- und Lesestofforschung. In: Brednich, Rolf W.: Grundriß der Volkskunde. Berlin 1988. S. 381-398. Für ihn beginnt der eigentliche Diffusionsprozeß der kulturellen Technik Lesen mit der Erfindung der beweglichen Buchdruck-Lettern um 1450.
[2])Schön, Erich: Der Verlust der Sinnlichkeit oder Die Verwandlungen des Lesers. Mentalitätswandel um 1800. Stuttgart 1993. S.39
[3])Ebda., S.40.
[4])Zimmermann, Harro: Lesen, "Lesewut" und Modernitätserfahrung in der deutschen Spätaufklärung. In: BBL 21/1987. S.782-789, hier S.785. Vgl. Auch Karl Philipp Moritz: Anton Reiser. (Erstausgabe Berlin 1785) Stuttgart 1979. Moritz beschreibt seine autobiographisch angelegte Figur als extrem intensiven, die Lektüre eines Buches häufig wiederholenden Leser, der sonntags vor den Toren der Stadt in der Natur las und darüber die Zeit vergaß.
[5])Vgl. Zimmermann wie Anm.4, S.783.
[6]) Vgl. Schenda, Rudolf: Zur Geschichte des Lesens. In: Brackert; Stückrath (Hrsg.): Literatur-Wissenschaft. Grundkurs 1. Reinbek 1981. S.18-27, hier S.20; Engelsing, Rolf: Die Perioden der Lesergeschichte in der Neuzeit. Das statistische Ausmaß und die soziokulturelle Bedeutung der Lektüre. In: Archiv für die Geschichte des Buchwesens. Band 10. Frankfurt 1970. Sp. 945-960, hier Sp.958. Er prägte für diese Zeit die Begriffe des "Wandels im Lesen vom intensiven (ein dieselbe Lektüre ständig wiederholendes) zum extensiven (rasch neue Lektüre verbrauchendes)" Lesen. Dieser Wandel beginnt etwa um 1750 und ist bis 1800 weitgehend abgeschlossen.
[7])Vgl. Langenbucher, Wolfgang: Die Demokratisierung des Lesens in der zweiten Leserevolution. In: Lesen und Leben. Frankfurt/M. 1975. S.12-35, hier S.28.
[8])Schön, wie Anm. 2, S.38.
[9])Ebda., S.383.
[10])Die Leitung des spätabsolutistischen Fürstenstaates - einem vornehmlichen Steuer- und Verwaltungsstaat - und die Administration lagen in einer Hand von denkenden und lenkenden Personen, die wiederum zur erfolgreichen Durchführung ihrer Maßnahmen lesekundige Untertanen benötigten. Vgl. hierzu auch Zimmermann: wie Anm.4., S.783.
[11])Zitiert nach Ebda., S.786.
[12])Vgl. Engelsing, wie Anm. 6; Langenbucher, wie Anm. 7.
[13])Vgl. Schenda, Rudolf: Volk ohne Buch. Frankfurt/M. 1970. S.54.
[14])Ebda., S.54; sowie ders., wie Anm. 6, S.20.
[15])Für Frauen galten Abenteuer- und Ritterromane als unschickliche und verderbliche Lektüre und dementsprechend als nicht standesgemäß. Ihnen wurden unverfängliche und unterhaltende Stoffe zugewiesen. Diesem Reglement ordneten sich auch die Bürgerfrauen unter, da sie sich trotz aller Abgrenzung zum Adel durchaus am vermeintlich "feinen" Leben der Höhergestellten orientieren. Zu den Lesevorlieben und Beständen in den Lesegesellschaften und im Bürgertum, siehe Dann, Otto: Die Lesegesellschaften und die Herausbildung einer modernen bürgerlichen Gesellschaft in Europa. In: Ders. (Hrsg.): Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation. München 1981. S. 9-28.
[16])Schön, wie Anm. 2.
[17])Hurrelmann, Bettina: Familiale Voraussetzungen des Fernsehens und Lesens von Kindern - eine interaktionistische Perspektive auf die Mediensozialisation. In: Neumann, Klaus; Charlton, Michael (Hrsg.): Spracherwerb und Mediengebrauch. Tübingen 1990. S.169-194, hier S.176.
[18])Vgl. hierzu Schneider, Ute: Leserschichten und Lektüreinteressen. In: Buchhandelsgeschichte. Hrsg. von der Historischen Kommission des Börsenvereins 3/1995. B. 171-173. Sie weist darauf hin, daß besonders die Werke von Scott, Cooper, Dickens, Sue und Dumas übersetzt wurden. Ihre Popularität beruhte auf dem Interesse an zeitgemäßen Themen, "so daß man von einer Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und Romaninhalten sprechen kann". B. 172.
[19])F. Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur zwischen Restauration und Revolution. 1972. Zitiert nach Hurrelmann, wie Anm. 17, S.180.
[20])Schön, wie Anm. 2, S.54.
[21])Ebda., S.57. Siehe hierzu auch Schmid, Pia: Zeit des Lesens - Zeit des Fühlens. Anfänge des deutschen Bildungsbürgertums. Berlin 1985. Sie hat über die Bedeutung der Bildung im Alltag des Bildungsbürgertums gearbeitet und verweist auf die Abgrenzungsbemühungen des Bildungsbürgertums, nach oben gegen den Adel und nach unten gegen Kleinbürger und Bauern. Die Abgrenzung sollte vor allem durch eine rege Teilnahme am Bildungsangebot vollzogen werden. Hierzu gehörte die Lektüre ebenso wie Theaterbesuche und eine gepflegte Korrespondenz.
[22])Vgl. Schenda, wie Anm. 13; Engelsing, wie Anm. 6.
[23])Vgl. Limmroth-Kranz, Susanne: Arbeiterautobiographien als Quelle zur Leserforschung. Hamburg 1986 (Magisterarbeit). Die Analyse von 105 Arbeiterautobiographien aus dem Deutschen Kaiserreich zeigte, wie selten die Schule für Prole-tarierkinder das Fundament für umfassende Bildung darstellte.
[24])Vgl. Jäger, Georg; Schönert, Jörg (Hrsg.): Die Leihbibliothek als Institution des literarischen Lebens im 18. Jahrhundert. Hamburg 1980; Jäger, Georg: Die deutsche Leihbibliothek im 19. Jahrhundert. In: IASL 2/1977. S.96-133.
[25])Vgl. auch Schenda, Rudolf: Vorlesen: Zwischen Analphabetentum und Bücherwissen. Soziale und kulturelle Aspekte einer semiliterarischen Kommunikationsform. In: BB 119/1986. S. 5-14.
[26])Vgl. hierzu sehr ausführlich: Langewiesche, Dieter: Volksbildung und Leserlenkung, in: IASL 14/1989, 1. Heft. S.113/114: Die Volksbildung umfaßte ein vielfältiges Angebot verschiedener Vereinigungen wie der Volkshochschule, dem Volksbühnenverein, den Vereinen für Heimatbildung, staatsbürgerliche Bildung, Jugendverbände, Gewerkschaften und sonstige Berufsverbände. In der Weimarer Republik expandierten außerdem die Buchklubs und die Öffentlichen Büchereien. Siehe auch Neven-Du-Mont, Reinhold: Die Kollektivierung des literarischen Konsums durch die Arbeit der Buchgemeinschaften. Köln 1962. Zum Teil dienten die Buchklubs auch dem Eigenversand, z.B. völkischen Schrifttums. Der Hörfunk sendete seit 1923 regelmäßig Bildungssendungen und stellte so eine Konkurrenz für die ca. 60 etablierten Reichsverbände zur Erwachsenenbildung dar.
[27])Langewiesche, wie Anm. 26, S.116: "Arbeiter sollten lesen, was in der Gesellschaft als kulturell wertvoll galt. Es handelte sich dabei sozusagen um eine nachgeholte Aufklärung für die unteren- und kleinbürgerlichen Schichten." Aber trotz aller Versuche Hochliteratur zu verbreiten, bewegte sich die Lesepraxis der Arbeiter zwischen "Trivialliteratur und Avantgarde".
[28])Schön, wie Anm. 2, S.57 u. 58.
[29])Vgl. Gibson, Eleanor; Levin, Harry: Die Psychologie des Lesens. Frankfurt/M. 1989. Der Lesevorgang als entwicklungspsychologisches Phänomen ist in den wissenschaftlichen Disziplinen zwar aufgearbeitet worden, um aber den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, verzichte ich unter Verweis auf die Fachliteratur auf eine detaillierte Ausführung.
[30])Vgl. Baumgärtner, Alfred C. (Hrsg.): Lesen - Ein Handbuch. Lesestoff, Leser, und Leseverhalten. Hamburg 1974. S.444f.
[31])Vgl. auch Meyer, Ruth: Lesen als Mittel der Welterfahrung. In: Lesen und Leben. Frankfurt/M. 1975. S.193-204, hier S. 204.
[32])Vester, Michael: Fragen zur Nützlichkeit des Lesens. In: Können Sie denn nicht lesen? Ergänzend zu diesen Gedanken führt Bodo Franzmann aus: "Lesen übt die Fähigkeit zu Distanz und Relativierung, zu Kritik und Kreativität und zu Offenheit gegenüber Neuem. Lesen eröffnet die Möglichkeit, Erfahrungen leichter einordnen zu können. Lesen befähigt zur Realisation eines selbständigen, lebenslangen (kognitiven und affektiven) Lernens und erhöht damit die gesellschaftliche Integrationsfähigkeit. Es ist ein zentrales, nicht substituierbares Bildungselement". Vgl. Ders.: Plädoyer für Buch und Lesen. In: Buch und Lesen. Gütersloh 1978. S.175-192, hier S. 183/184.
[33])Fritz, Angela: Was ist Lesen? Orientierungsstudie zur Analyse des Leseverhaltens in Österreich. Wien 1987. S.18. In einer Voruntersuchung zu weiteren Forschungen versucht sie zu klären, ob das Lesen von Büchern die geistige Flexibilität erhöht. S.34/35: Ihr Ergebnis zeigte, daß das Lesen, anders als andere Rezeptionsformen, die mentale Beweglichkeit stark schult und zu einer qualifizierteren Art der Informationsverarbeitung befähigt.
[34])Schenda: Leser- und Lesestofforschung. In: Brednich (Hrsg.): Grundriß der Volkskunde. S.353ff.
[35])Ebda.
[36])Stocker, Karl (Hrsg.): Taschenbuchlexikon der Literatur- und Sprachdidaktik. Band 1. S.224 u. 251/252. S.251: Lesen als Sinnentnahme umfaßt die Mitbeteiligung des Gedächtnisses sowie die Angleichung des neuen Wissens an das eigene Wissen von der Welt (Assimilation oder Schemaanpasung).
[37])Fritz, Angela: Leseforschung in Österreich. In: Lesen im internationalen Vergleich. Ein Forschungsgutachten der Stiftung Lesen für das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft. Mainz 1990. S.102-120, hier S.102/103.
[38])Siehe zu den verschiedenen Leseweisen und ihrer Anwendung: Härter, Andreas: Text-Passagen. Lesen. Leseunterricht. Lesebuch. Frankfurt/M. 1991. Hier S.14ff. S.15: Er teilt das alltägliche Lesen noch weiter ein in das entschiedene, das zweckgebundene Lesen (Lektüre von Fahrplänen, Gebrauchsanweisungen) und das widerfahrende Lesen - z.B. Werbebriefsendungen oder das Blättern in einer Zeitschrift, um die Wartezeit beim Arzt zu überbrücken. Das alltägliche, oft aufgezwungene Lesen nimmt stetig zu.
[39])Vgl. Ebda., S. 14 und S.35-60. Der Lesevorgang wird von Härter, in vier "Leseweisen" aufgeteilt: in das decodierende Lesen beim Lesen von Informationen und beim Lesen von Prosatexten, in das identifizierende Lesen, das spielende Lesen und das interpretierende Lesen. Für Härter bestimmen gerade die Überschneidungen dieser Leseweisen den Lesealltag. Das decodierende Lesen konzentriert sich auf Sachbücher, Fahrpläne o.ä., es ist unkompliziert und wird durch die praktische Handhabung bestimmt. Das identifizierende Lesen impliziert für den Leser ein sehr intensives Einlassen auf den Text. Es hat als vorrangige Leseweise der Kinder- und Jugendlichen zu gelten. Beim spielenden Lesen läßt sich der Leser nicht so intensiv auf den Text ein. Es ist oft von Bedürfnissen geleitet mit dem Bewußtsein, daß der Text fiktiv ist. Das interpretative Lesen geht auf die Zeichenhaftigkeit der Texte ein, nimmt dort den Prozeß der Sinnbildung auf. Es setzt dort ein, wo die Sprache eines Textes Deutung verlangt.
[40])Aust, Hugo: Lesen. Überlegungen zum sprachlichen Verstehen. Tübingen 1983.
[41]Giehrl, Hans E.: Der junge Leser zwischen gestern und morgen. In: Jugendliteratur in einer veränderten Welt. Bad Heilbrunn 1972. S. 25-43.
[42])Vgl. Hussong, Martin: Zur Theorie und Praxis des kritischen Lesens. Düsseldorf 1973. Hier S.65 und 123/124: Er sieht dies nicht nur auf den Unterricht in höheren Klassen abgestimmt oder auf den Deutschunterricht beschränkt, sondern es hat für jedes Lesen Gültigkeit. Auch Hussong plädiert für eine Grundlagenvermittlung in der frühen Sozialisation.
[43])Vgl. Stocker, wie Anm. 36, S.108/S.226: Das wortreihende Lesen gibt höchstens die Wortfolge, das Sinnschrittlesen, die Satzglieder und das sinnerfassende Lesen den Sinn und Inhalt des Textes wieder. Die medienspezifischen Mechanismen einer Lesebehinderung können nur erkannt werden, wenn die Lesevorgänge und die Leseweisen bekannt sind. Siehe dazu auch Härter, wie Anm. 38, S.9 f.
[44])Ein Überblick über die vielfältigen Anregungen die Schroubek der volkskundlichen Stereotypforschung gab, finden sich in: Gerndt, Helge (Hrsg.): Stereotypvorstellungen im Alltagsleben. Festschrift für Georg R. Schroubek. München 1989.
[45])Ebda., S. 10/11.
[46])Ebda., S.12.
[47])Bausinger, Hermann: Name und Stereotyp. In: Gerndt, wie Anm. 44, S.13-19, hier S.13.
[48]Vgl. auch Uta Quasthof: Soziales Vorurteil und Kommunikation - Eine sprachwissenschaftliche Analyse des Stereotyps. Frankfurt/M. 1973. S.28. Sie hat in ihrer Untersuchung zur Beziehung zwischen Stereotypen und Sprache das Stereotyp wie folgt definiert: "Ein Stereotyp ist der verbale Ausdruck einer auf soziale Gruppen oder einzelne Personen als deren Mitglieder gerichteten Überzeugung. Es hat die logische Form eines Urteils, das in ungerechtfertigt vereinfachender und generalisierender Weise, mit emotional-wertender Tendenz, einer Klasse von Personen bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu- oder abspricht.
[49])Die Ursprünge der das Lesen betreffenden stereotypen Meinungen und Vorstellungen liegen im 18. und 19. Jahrhundert, in denen sich die gebildeten Bürger stark von den ungebildeten Schichten abgrenzten und der Zugang zu Wissen in Form eine regelmäßigen Schulbesuchs, Studium, ebenso wie Buchbesitz und Lektüre kein Allgemeingut war. Diejenigen die in den unteren Schichten lasen, verfolgten damit häufig die Absicht sich "emporzulesen", ihrem bescheidenen Bildungsmilieu zu entwachsen und sich den bürgerlichen Bildungsvorstellungen anzupassen. Lesen galt - entsprechend den Stereotypen - ebenso als Zugang zur Welt der Gebildeten, wie zu den Welten der Wissensaneignung und der Unterhaltung. Einige Angesprochene verweigerten mir ein Interview zum Thema Lesebiographie nicht zuletzt deswegen, weil sie glaubten - da sie nicht regelmäßig lasen - bestimmten Ansprüchen (Stereotypen) nicht genügen zu können.
[50])Siehe hierzu Nies, Fritz: Bahn und Bett und Blütenduft. Eine Reise durch die Welt der Leserbilder. Darmstadt 1991. Er weist darauf hin, daß die Darstellung von lesenden Modellen in der Werbung seit der Jahrhundertwende immer häufiger eingesetzt wird. S.83/84: "Dennoch bleibt die Lektüre beim gemütlichen Licht einer Stehlampe, im molligen Bett oder rauchend und trinkend im weichen Sessel ein von Karikaturisten wie Werbephotographen vieldutzendfach zitiertes Stimmungselement. Als Bestandteil 'romantischer'Atmosphäre beim abendlichen Lesestündchen verwendet gerade die Bildwerbung neuerdings wieder mehrfach zwei (nun zusätzliche) Lichtquellen, die bereits ausgedient zu haben schienen: Kerzen und Kaminfeuer." Gerade in der modernen Modefotografie werden den männlichen Modellen häfig Wirtschaftszeitungen in die Hand gegeben oder unter den Arm geschoben. Auch Business-Kleidung für die Dame wird mit lesenden Modellen (mit Zeitung) oder für die Frau der gehobenen Mittelklassse (mit Büchern) dargestellt. Offensichtlich wird hier eine Konnotation mit lesen oder Belesenheit als einer Notwendigkeit zum Erfolg dargestellt. Zu finden sind diese Abbildungen in zahlreichen der nahezu wöchentlich in den, größeren Tageszeitungen, beiligenden Prospekten von Unternehmen der Bekleidungsindustrie.
[51])Dazu gehören z.B. die Romane von Autoren wie Johannes. M. Simmel oder Heinz Konsalik und die Heftchen-Romane.
[52])McLuhan, Marshall: Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters. Düsseldorf 1968 (englisch 1964).
[53])Postman, Neil: Das Verschwinden der Kindheit. Frankfurt/M. 1983; Ders.: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie. Frankfurt/M. 1985.
[54])Postman, Neil: Die Bedrohung des Lesens durch die elektronischen Medien - und was die Verleger dagegen tun können. In: Franzmann, Bodo(Hrsg.): Auf den Schultern von Gutenberg. Berlin und München 1995. S. 220-228. In diesem Zusammenhang muß natürlich berücksichtigt werden, daß Postman's Prognosen auf dem stetig wachsenden Fernsehkonsum der Bevölkerung in Nordamerika basiert. Für die Bundesrepublik Deutschland konstatieren Klaus Berg und Marie-Luise Kiefer zwar keinen direkten Rückgang des Fernsehkonsums für die bundesrepublikanische Bevölkerung, aber auch keine rasche Steigerung. Da Jugendlichen eine immer geringere Affinität zu den Tageszeitungen haben, wäre zu untersuchen, inwieweit diesr Rücklauf mit erhöhten Fernsehzeiten korreliert. Dies.: Massenkommunikation V. Eine LangzeitStudie zur Mediennutzung und Medienbewertung 1964-1995. Baden-Baden 1996.
[55])Postman, 1985, wie Anm. 53, S.82/36. Ergänzt durch die - in den letzten Jahren intensiv geführten - Debatten über die wachsende "Wissenskluft" und steigende Analphabetenzahlen stießen derartige kulturkritische Befürchtungen auf starke Resonanz. Vgl. dazu auch Bonfadelli, Heinz; Saxer, Ulrich: Lesen, Fernsehen und Lernen. Wie Jugendliche die Medien nutzen und die Folgen für die Medienpädagogik. Zug 1986, S.15 ff.
[56])Börsenverein des deutschen Buchhandels (Hrsg): Buch und Buchhandel in Zahlen 1996. Frankfurt/M. 1997.
[57])Allein in den Vereinigten Staaten wird die Zahl der funktionalen Analphabeten auf mittlerweile über 35 Millionen geschätzt; für die Bundesrepublik ging die UNESCO noch vor der "Wende" von etwa 3 Millionen aus. Diese Zahlen veranlaßten Neil Postman, seine Warnungen vor dem Fernsehen in Mainz 1992 anläßlich einer Tagung zu wiederholen: "(...) es (das Fernsehen) ziehe alles, auch die Nachrichten, auf das Niveau von Unterhaltung herab. Das Fernsehen zerstöre daher die geistigen Bedingungen, unter denen das Lesen möglich sei: Es schwäche die Kraft zur Analyse, verhindere kritische Distanz". Ders.: 1995, wie Anm. 54.
[58])So verweist der Medienexperte Jan-Uwe Rogge darauf, daß die Wahrnehmung der Angebote audiovisueller Medien in einer fremdbestimmten Geschwindigkeit primär jüngeren Kindern Schwierigkeiten bereitet, da sie den Inhalt einer einzelnen Sequenz häufig gar nicht schnell genug verstehen können, bevor die nächste beginnt. Ders.: Kinder können fernsehen. Vom sinnvollen Umgang mit dem Medium. Reinbek 1990.
[59])Winn, Marie: Fernsehen - die Droge im Wohnzimmer. Reinbek 1979. siehe hierzu auch Winterhoff-Spurk, Peter: Fernsehen. "Psychologische befunde zur Medienwirkung". Stuttgart 1986. S.75 f.: Er stellte bei seinen Untersuchungen fest, daß nicht-fernsehende Kinder keine besonders guten Schüler sind. Ein deutlich negativer Zusammenhang besteht erst bei krankhaften Vielsehern von über sechs Stunden fernsehen am Tag. Insgesamt ergab sich bei einem Vergleich von 23 Einzeluntersuchungen, daß die Fernsehnutzung einen Einfluß auf das aggressive Verhalten von weniger als einem halben Prozent bei den beobachteten Kindern hat. Schulische Leistungen und akademische Fähigkeiten entstehen nicht allein durch Lesen, sondern ebenso durch formale Lernsituationen, auf die Kinder in der Schule vorbereitet werden. S.159: Er vertritt die Auffassung, daß Inhalte, die in der Mittelschicht als zum Teil notwendiges Wissen angesehen werden Nicht-Leser nicht interessieren. Den Ergebnissen der Wissenskluft-Forschungen nach, konnten sie aber durchaus rezipieren, was sie selbst betrifft, z.B. in Nachrichtensendungen. Vgl. auch Fritz, Angela: Lesen in der Mediengesellschaft. Standortbeschreibung einer Kulturtechnik. Wien 1989, hier S. 131: Menschen, die aufgrund ihrer Leseso-zialisation ohne Bezug zum Buch aufgewachsen sind, werden ohne entsprechende Anregungen, z.B. durch außerfamiliäre Bezugspersonen als Vorbilder, oft zu Wenig- oder Nichtlesern. Von diesen häufig aus sozial schwachen Gruppen stammenden Nichtlesern werden zur Unterhaltung und Ablenkung fast ausschließlich audiovisuelle Medien genutzt.
[60])Eine Fortsetzung erfährt diese Art der Wahrnehmung bei den Spielen auf Personalcomputern, der Sony-"Mega"- Reihe oder den winzigen Bildschirmen der "Game-Boys".
[61])In den Hörfunk und Fernseh Programm-Zeitschriften wird in Form von redaktionellen Mantelteilen und Programmübersichten über Sendungen berichtet, werden Hintergrundinformationen geliefert und Zuschauerquoten veröffentlicht, wodurch das Programm um so attraktiver erscheint. Die Moderatoren der auf allen Sendern anzutreffenden "Talk-Shows" wurden mit Hilfe der entsprechenden Berichterstattung in der Presse zu öffentlich bekannten Personen hochstilisiert, deren Meinungen zu den banalsten Themen nachgefragt und vielfach veröffentlicht werden.
[62])Vgl. Fritz, wie Anm. 59, S.13: Insbesondere Nichtleser können mit Hilfe der audiovisuellen Medien an der Massenkommunikation teilnehmen und tun dies sehr intensiv. Sie stellte außerdem fest, daß es unter den "Vielsehern" überdurchschnittlich viele Nichtleser gibt. Das heißt, daß häufiges Fernsehen nicht zwangsläufig mit wenig Lesen korreliert.
[63])Oppermann, Ilse-Maria: Das Recht der Kinder auf Hoffnung. In: Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): In Sachen Lesekultur. Bonn 1991. S.42.
[64])Heidtmann, Horst: Kindermedien und Medienverbund. In: Wild, Reiner (Hrsg.): Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur. Stuttgart 1990. S. 402-454, hier S.445/447: Die Wünsche von Kindern und Jugendlichen nach Action und Abenteuer werden zunehmend von Film, Video und Fernsehen erfüllt. Diese Medien übermitteln ihre Botschaften vor allem in Form von Bildern und gesprochener Sprache. Siie sind leichter verständlich als die geschriebene, durch Zeichen verschlüsselte Sprache und somit problemlos und passiv zu rezipieren.
[65])In zahlreichen bundesdeutschen Kinderzimmern finden sich Kassettenabspielgeräte ebenso wie, immer häufiger, auch Fernseher und Computer. Bereits kleine Kinder können diese Geräte bedienen und machen regen Gebrauch vom fast unüberschau-baren Angebot der Kinder-Tonkassetten, deren literarische und inhaltliche Qualität ebenfalls sehr facettenreich ist.
[66])Die Figuren aus Comic- und Fernsehsendungen wie "Batman", "Turtles", "Super-Mario", "Alf", "Simpsons", "Toy-Story" u.a. werden laufend um neue Geschichten und Protagonisten ergänzt.
[67])Kübler, Hans-Dieter: 40 Jahre Kinderfernsehen. In: Erlinger, Hans Dieter; Merkelbach, Bernhard; Stötzel, Dirk Ulf: Fernsehen für Kinder: Vom Experiment zum Konzept: Programmstrukturen - Produkte - Präsentationsformen. Siegen 1990. S.290-322, hier S.310.
[68])Ebda. So wurden z.B. Kinderfilme und Comics nach einer lang anhaltenden "Schmutz- und Schund-Debatte" erst in den 70er Jahren anerkannt. Heftige Reaktionen wurden ausgelöst, als am 25.12.1952 mit dem Fernsehen ein neues Kapitel der Mediengeschichte begann. Die Diskussion loderte mit der Einführung der Dritten Programme erneut auf, um sich anschließend mit den Privat- und Satelitensendern und der neuen Programmvielfalt auseinanderzusetzen.
[69])Graf, Werner: Fiktionales Lesen und Lebensgeschichte - Lektürebiographien der Fernsehgeneration. In: RosebrockCornelia (Hrsg.): Lesen im Medienzeitalter. Weinheim und München 1995. S.97-126.
[70])Vgl. auch Paus-Haase, Ingrid (Hrsg.): Neue Helden für die Kleinen. Das (un)heimliche Kinderprogramm des Fernsehens. Münster u. Hamburg 1991. S.107: Um Defizite zu erkennen, muß die Medienrezeption von Kindern im Kindergarten- und Vorschulalter im Kontext mit ihren Spielmöglichkeiten bewertet werden. Besonders die städtischen Lebensbedingungen stellen Kindergärten und Schulen vor neue Aufgaben. "Anregungsarme Lebenssituationen können durch entsprechende Aktivitäten im Unterricht und auf dem Schulgelände ausgeglichen werden. Ein attraktives Kulturangebot für Kinder kann ein Gegengewicht zu der konfektionierten Kinderkultur bilden, die vom Medienverbund produziert und verbreitet wird".
[71])Baacke, Dieter; Sander, Uwe; Vollbrecht, Ralf: Lebenswelten Jugendlicher Band 1 u.2. Opladen 1990. Sie führten 32 Interviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 13 und 23 aus Stadt, Kleinstadt und Dorf durch. Die Befragten kamen aus unterschiedlichem sozialen Milieu und differierten entsprechend im sozialen Status und im Bildungsniveau. Gefragt wurde nach folgenden Sachverhalten: Art und Häufigkeit der Medienrezeption, Präferenzen, Bedeutung und Motivation des Medienkonsums, soziale Kontexte des Medienhandelns, Einflüsse von Bezugspersonen, Wohnort und Lebenslauf.
[72])Im Zusammenhang hiermit muß angemerkt werden, daß die Untersuchungen von Baacke u.a., wie Anm. 71, vor dem Siegeszug der "Game Boys" in deutschen Kinderzimmern erhoben wurden. Es ist kaum anzunehmen, daß diese elektronischen Spielgeräte heute in der Beliebtheitsskala unter den Printmedien genannt werden würden. Daneben kommt den Personalcomputern in der Mediennutzung Jugendlicher eine wichtige Rolle zu, denn das Angebot an Spielen ist umfangreichund. Mit Hilfe eines regen Tauschhandels untereinander verschaffen die Jugendlichen sich steten Zugang zu neuen Spielversionen.
[73])Siehe hierzu und zum Folgenden ausführlich in: Baacke, Dieter; Frank, Günter; Radde, Martin; Schnitke, Manfred: Jugendliche im Sog der Medien. Medienwelten Jugendlicher und gesellschaft. Opladen 1989. S.98, S.111, hier S.114: Die Altersgruppen grenzen sich in ihrer Mediennutzung voneinander ab. Geringe Selektivität und Passivität finden sich eher bei den Jüngeren. Jugendliche dagegen, die aktiv Medien nutzen, stehen in der Regel in einem relativ kritischen, selektiven Verhältnis zu ihnen. Es ließ sich feststellen, daß Jugendliche sich mit ihrer altersspezifischen Medienwahl und dem entsprechenden Rezeptionsverhalten von anderen Alters- und Statusgruppen abgrenzen.
[74])In der Erhebung von 1988, die im Auftrag der Zeitschrift "Der Spiegel" zur "Persönlichkeitsstärke" und einer damit verbundenen Trend- und Meinungsprägung durchgeführt wurde, ermittelte man, daß Mediennutzung in starkem Maße von der eigenen "Persönlichkeitsstärke" abhängt. Die Tatsache, daß Vielleser häufig auch Vielseher sind, ist im Zusammenhang damit kein Widerspruch, sie wird durch diese Ergebnisse vielmehr bestätigt. Die meisten viellesenden Vielseher wählen selektiv und bevorzugen informative Sendungen. Vgl. hierzu auch Fritz, wie Anm. 59.
[75] Vgl. Kommunikationsverhalten und Medien. Saxer, Ulrich; Fritz, Angela; Langenbucher, Wolfgang (Hrsg.). Gütersloh 1989. S.118, auch S.194: Audiovisuelle Medien werden häufig und gern begleitend bei alltäglichen Handlungen genutzt (Bügeln, Kochen, Aufräumen etc.); Tagesaktuelle Medien nutzen 80% aller Erwachsenen, dabei steht das Fernsehen an erster Stelle.
[76])Ebda., S. 15f.: Die Mediennutzer werden in 6 Typen eingeteilt: Die Alternativen, die Kulturbewußten, die Neue-Medien-Freaks, die Sport- und Vereinsfreunde, die Häuslichen, die passiven Medienkonsumenten und die kulturell Aktivierbaren. Wobei sich bei der generellen Nutzungshäufigkeit der Massenmedien wie Fernsehen, Radio und Zeitungen nur geringfügige Differenzen zeigten.
[77])Ebda., S.8. Vgl. auch Bonfadelli, Heinz u.a.: Jugendliche und Medien: Eine Studie der ARD/ZDF-Medienkommission und der Bertelsmann Stiftung. Frankfurt/M. 1986. Auch in dieser Altergsgruppe zeichnete sich ab, daß Vielleser in der Regel das gesamte Medienensemble nutzen, während Wenig- oder Nichtleser sich auf die Nutzung einiger, weniger Medien beschränken.
[78])Saxer, wie Anm. 75, S. 9.
[79])Hoffmann, Hilmar, in: BBL 40/19.5.1989, S.1730. Vgl. auch Ders.: Kultur für alle. Perspektiven und Modelle. Frankfurt/M. 1979.
[80])Als Ziele, die mit den Mitteln der Leseförderung zunächst erreicht werden sollen, werden genannt: Lesen aktivieren, Leseaktivitäten vergrößern, Interesse an Büchern und anderen Printmedien initiieren und stabilisieren, dem Leser bislang noch nicht oder wenig geläufige Einsatzmöglichkeiten für Bücher und andere Lesestoffe aufzeigen, die Vielfalt der Buchwelt definieren, die Bedeutung des Lesens für die Persönlichkeit alterspezifisch verdeutlichen und entsprechende Lesegewohnheiten habi-tualisieren, Aktivitäten zur Leseanregung fördern, wie z.B. Leseclubs, Schulbibliotheken oder die Teilnahme an Wettbewerben, Sensibilisierung der Multiplikatoren für die Bedeutung der Frühförderung des Lesens.
[81])Mit den geplanten Maßnahmen sollen gerade wenig geübte Leser angeregt, und ihnen die individuellen Vorzüge des Lesens nahegebracht werden. Ein gutes Beispiel für eine entsprechende Leseförderung sind die ist das von der Stiftung Bertelsmann finanzierte und durchgeführte Projekt, dessen Ergebnisse in der Publikation: Lesen in der Grundschule. Gütersloh 1991 zusammengefaßt sind. Ein weiteres von hier gefördertes Projekt befaßt sich mit dem Bereich "Leseförderung in der Sekundarstufe I. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Mehr als ein Buch. Gütersloh 1996.
[82])Lüscher, Kurt (Hrsg.): Sozialpolitik für das Kind. Stuttgart 1979.
[83])Nach der Grenzöffnung 1989 wurde in diesem Zusammenhang auch diskutiert, ob für die Kinder der neuen Bundesländer eine Leseförderung überhaupt notwendig sei, da die DDR immer als vorbildliches "Leseland" deklariert worden war. Studien von westdeutschen Psychologen und Soziologen ergaben allerdings, daß diese Aussagen sich nicht in großem Umfang bestätigen ließen. Die Zustände in der ehemaligen DDR werden in meiner Arbeit nicht weiter vertieft, weil durch ihre Berücksichtigung die Kontinuität meiner Interviews unterbrochen würde. Untersuchungen zum Lesen in der DDR weisen darauf hin, daß auch das sogannte "Leseland DDR" eher zwangsverordnet war: Gelesen wurde häufig, weil andere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung nicht verfügbar waren. Vgl. Köhler, Ursula: Lesekultur in beiden deutschen Staaten. 40 Jahre - ein Vergleich. Teil 1 u.2. Frankfurt/M. 1990; Fischer, Toralf: Lesen im gesellschaftlichen Umbruch. Untersuchungen zum Kauf- und Leseverhalten in der DDR kurz vor und nach der Wiedervereinigung. Frankfurt/M. 1993. Berg/Kiefer, wie Anm. 54, gehen, ebenfalls auf das Leseverhalten in den neuen Bundesländern ein.
[84])Auch eine Zusammenarbeit mit den Medien Presse und Fernsehen wurde angestrebt. Vgl. Pletticha, Heinrich; Deutsche Lesegesellschaft e.V. (Hrsg.): Anstiftung zum Lesen. Ravensburg 1982. S.153 f. So wurden der Wettbewerb "Das Lesende Klassenzimmer" und die Idee der "Leseclubs" an Schulen von der Deutschen Lesegesellschaft entwickelt. Es gab sogar speziell für die Medienerziehung produzierte Fernsehserien mit Begleitveranstaltungen in Kindergärten und Schulen. Im Rahmen eines Modellversuchs "Vorlesen und Erzählen" wurden regelmäßig Vorlesestunden in Bibliotheken, Museen und Kindergärten durchgeführt.
[85])Bis 1986 erschienen 53 Buchempfehlungslisten zu unterschiedlichen Themen. Die zweimal jährlich erscheinenden "Arbeitsblätter für Lehrer" bieten Hilfe und Anregungen für den Einsatz von Jugendtaschenbüchern für die Primar- und Sekundarstufe der Schulen. Die Deutsche Lesegesellschaft ging nach fast zehnjähriger Tätigkeit unter Übernahme der meisten ihrer Aktivitäten in die "Stiftung Lesen" ein. Mit der Gründung der Stiftung Lesen wurden die unterschiedlichen Träger und Geldgeber miteinander verbunden. Der Gedanke einer Organsiation als Stiftung sollte die Finanzierung der Leseförderung langfristig sichern.
[86]) Hoffmann, Hilmar: Wieviel Forschung braucht die Praxis? In: Gärtner, Hans (Hrsg.): 9. Almanach der Kinder- und Jugendliteratur. S.192-203, hier S. 202. Angestrebt wird außerdem eine Bündelung der bislang oft vereinzelt initiierten Aktionen. Vgl. auch: Stiftung Lesen: 2. Tätigkeitsbericht 1990-1992. Mainz 1992.
[87])Es wird außerdem die Grundlagenforschung gefördert, wie auch ein neuer Studiengang, der an der Universiät in Mainz zur Lese- und Medienforschung etabliert wurde. "Um den Rückgang der Lesekultur und das Anwachsen des funktionalen Analphabetismus einzudämmen, setzt die Stiftung Lesen ihren Schwerpunkt in der Leseförderung von Kindern und Jugendlichen. Hierfür arbeitet sie mit allen einschlägigen Einrichtungen des Lesens zusammen, versorgt Eltern, Lehrer, Bibliotheken, Buchhändler und andere Lesevermittler mit Informationen, bildet sie auf verschiedensten Ebenen weiter und entwickelt vielfältige neue Projekte zur Leseförderung. Die drei Arbeitsschwerpunkte Vermittlungsförderung (direktes Ansprechen der Multiplikatoren), direkte Leseförderung (Leseclubs, Arbeit vor Ort) und Medienpartnerschaften (vor allem mit dem Fernsehen, Buchempfehlungslisten, Medienverbundprogramme oder Lesespots) werden ergänzt von der Absicht Lese(r)forschungsprojekte zu unterstützen".
[88])Drei Dateien zur Thematik werden ständig erweitert. Es handelt sich dabei um eine Literatur-, eine Projekt- sowie eine Institutionendatei mit Adressen. Der Service richtet sich an alle interessierten Personen, besonders aber an Multiplikatoren, wie Erzieher, Lehrer und Bibliothekare.
[89])Entsprechende Materialien gibt es z.B. zu den Rowohlt Rotfuchs-Bänden; "Lesen in der Primarstufe" und "Lesen in der Sekundarstufe" zu den dtv-junior-Bänden; vom Arena Verlag Begleithefte und Unterrichtsbeispiele zu ausgewählten Titeln.
[90])Angebote hierzu sind der Wettbewerb "Schüler schreiben" organisiert im Auftrag der Bundesregierung, ebenso "Schüler erforschen Geschichte"; "Das lesende Klassenzimmer" für Klassen ab Jahrgangstufe 3, und der Vorlesewettbewerb, die der Börsenverein des Buchhandlung.
[91])Vgl. die Hinweise auf entsprechende Projekte in Anm. 81.
[92])Doderer, Klaus; Riedel, Cornelia: Der Deutsche Jugendliteraturpreis. Weinheim und München 1988. Hier S.61.
[93])Die Bestenliste vom Südwestfunk hebt die monatlich ein Buch heraus; der "Luchs" für Kinderbücher der "ZEIT"; die Leselisten "Der Leselotse"; Mick's Tour; die vom "Bulletin Jugend- und Kinderliteratur" verliehene "Eule des Monats"; die Literaturliste des Saarländischen Rundfunks; das von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur nominierte "Buch des Monats".
[94])Die allgemeine Zielsetzung des Preises (im folgenden DJLP) ist in der Präambel zur Ausschreibung festgehalten: "Der DJLP soll die Entwicklung der Kinder- und Jugendliteratur fördern. Mit dem DJLP werden alljährlich herausragende Werke der Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet. Dadurch sollen Kinder und Jugendliche zur Begegnung und Auseinandersetzung mit Literatur angeregt werden. Zugleich soll die gesamte Öffentlichkeit, insbesondere Eltern und Erzieher, auf wichtige Neuerscheinungen und Entwicklungen der Literatur für Kinder und Jugendliche hingewiesen werden (...)" Zitiert nach Doderer; Riedel, wie Anm. 92, S.64, siehe auch S.54.
[95])Der Deutsche Jugendliteraturpreis. Hrsg. vom Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V. München 1992. S.2. "Der Deutsche Jugendliteraturpreis will, daß Kinder und Jugendliche durch das Medium Literatur Entwicklungen der eigenen Persönlichkeit bewußt erfahren." In Folge dieser internationalen Ausrichtung hat der Preis einen hohen Bekanntheitsgrad und Bedeutung im Ausland. Eine Tendenz, die sich alljährlich immer deutlicher an den prämierten Büchern widerspiegelt. So gab es in den letzten Jahren bevorzugt prämierte skandinavische Bücher.
[96])Ähnliche Bedeutung haben für den Bereich der Erwachsenenliteratur nicht einzelne Literaturpreise sondern die "Bestenlisten", deren bekannteste die des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" ist.
[97])Dazu gehören Preise wie der "Rote Elefant", der "Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendliteratur", der "Katholische Kinderbuchpreis" oder "der Kinderbuch-Literaturpreis der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats".
[98])Doderer; Riedel, wie Anm. 92, S.66. Hier wären als Beispiele zu nennen: Der Internationale Brüder Grimm-Preis, der Buxtehuder Bulle, der Friedrich-Bödecker-Preis, der Friedrich Gerstäcker-Preis, das Göttinger Lesezeichen, der Volkacher Taler, der große Preis der Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, der Gustav Heinemann-Friedenspreis, der Hans-im-Glück-Preis, der Heinrich Wolgast-Preis, der Katholische Jugendbuchpreis, der Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis, der Preis der Leseratten, der Rote Elefant, die Silberne Feder. Genauerer Ausführungen zu den stiftenden und vergebenden Institutionen finden sich bei Haas, Gerhard (Hrsg.): Kinder-. und Jugendliteratur. Ein Handbuch. Stutgart 1984. S.18-20; außerdem in: Meyer, Franz: Organisierte und Institutionalisierte Förderung von Kinder- und Jugendliteratur in der Bundesrepublik Deutschland. In: Kaminski, Winfred; Scharioth, Barbara: Jugendliteratur in der Bundesrepublik Deutschland. München 1986. S.136-143.
[99])Vgl. Beinlich, Alexander: Zu einer Typologie des Lesers. In: Baumgärtner, Alfred C. (Hrsg.): Lesen - Ein Handbuch. Hamburg 1974. S.211-230, hier 211.
[100])Lehmann, Albrecht: Autobigraphische Erhebungen in den sozialen Unterschichten. Gedanken zu einer Methode der empirischen Forschung. In: ZfVK 73/1977. S. 161-180, hier S.177.
[101])Ein Wochenblatt, das zunächst 1775-81 erschien und dann als Briefwechsel der "Familie des Kinderfreundes" (1784-92) fortgeführt wurde. Vgl. Beinlich, wie Anm. S.213.
[102])Ebda., S.213/214: Der Junge Karl (9 Jahre) liest gründlich und langsam, sein Lesekonsum ist deutlich begrenzt. Lesen ist für ihn praktisch orientiertes Lernen. Seine Schwester Charlotte (11Jahre), eine Nicht-Leserin, hat ein unruhiges Wesen. Sie findet nicht zur Ruhe und damit zum Lesen. Der Junge Fritz (7 oder 8 Jahre) ist begabt, ein sporadischer Leser und pragmatisch orientiert. Das Mädchen Luieschen (5 Jahre) ist altersmäßig noch in der Bilderbuchstufe, ihr Lesertyp ist noch nicht bestimmen. Der Haus- und Kinderfreund Philoteknos ist der Typus des regelmäßigen, anspruchsvollen, ästhetisch fein gebildeten Lesers, des Bildungslesers.
[103])Vgl. Ebda., S.214/215.
[104])Siehe auch Bamberger, Richard: Lesererziehung. Wien und München 1973; Ders.: Wie entwickeln wir lebenslange Leseinteressen und Lesegewohnheiten. Wien 1974.
[105])Maier, Karl Ernst (Hrsg.): Kinder und Jugendliche als Leser. Bad Heilbronn 1980. S.218.
[106])Giehrl, Hans E.: Der junge Leser. Einführung in die Grundfragen der Jungleserkunde und der literarischen Erziehung. Donauwörth 1968. S.60; Ders.: Der junge Leser zwischen gestern und morgen. In: Jugendliteratur in einer veränderten Welt. Bad Heilbronn 1972. S.25-43.
[107])Vgl. Graf, Werner, wie Anm. 69, S.97-126, hier S.108: "Auch die traditionellen Instrumente der Leserforschung sind genau besehen, an Texten und der auf sie bezogenen Inhalstanalytik orientiert." Graf verweist eindringlich auf die Tatsache, daß Forschung zur Literaturrezeption notwendigerweise auch auf die Textinhalte eingehen muß. Ebda., S.97/108. Meines Erachtens ist es umgekehrt genauso notwendig, in der Inhaltsanalyse zum einen auf die Art und Weise, zum anderen aber auch auf das "Weshalb" des Lesens in den unterschiedlichen Phasen des Lebenslaufs einzugehen, will man etwas über den Zusammenhang von Leser und Text erfahren.
[108])Kainz, Friedrich: Psychologie der Sprache. Stuttgart 1956.
[109])Ebda. S.221. Haseloff, Otto: Das Buch im Erleben der Jugendlichen. Gütersloh 1962.
[110])Eine Lesertypologie sollte zwischen epochenspezifisch bzw. statusgebundenen Kriterien zur Typenbildung und den strukturell bestimmten typenähnlichen Phänomenen trennen. Es ist weder sinnvoll, daß eine alleinige soziologische Fragestellung nach der Abhängigkeit bestimmter Erscheinungen von zeitbedingten sozialen Gegebenheiten die Typisierung bestimmen, noch eine die ausschließlich die Ausrichtung nach Lesestoffen berücksichtigt. Vgl. hierzu auch Beinlich, wie Anm. 99, S.225.
[111])Unholzer, Gerhard: Kommunikationsverhalten und Medien. Eine intermediale Untersuchung der Bertelsmann Stiftung. Gütersloh 1978 (BB 96/78 Sonderheft). Im Gegensatz zu heutigen Erkenntnissen steht bei Unholzer noch der Konkurrenzgedanke der Medien untereinander im Vordergrund seiner Typisierung. Er geht von einer strikten Polarität der Buchnutzer und der Fernsehnutzer aus. Es lassen sich hier entsprechende Parallelen zum Stereotyp des Lesers als "besseren" weil gebildeten Menschen ziehen.
[112])Saxer, wie Anm. 75, S.19.
[113])Vgl. Ebda., S.179 und die Tabelle S.175/176.
[114])Ebda., S.12 u. 214. Es wurden anhand der Interessenausrichtung Freizeittypen unterschieden: Die Alternativen, Kulturbewußten; die Neue-Medien-Freaks; die Sport- und Vereinsfreunde; die Häuslichen; die passiven Medienkonsumenten und die kulturell Aktivierbaren. Vgl. auch die Ausführungen zum Wandel des Freizeitverhaltens im I. Kapitel dieser Arbeit.
[115])Auf die speziellen Details der weiteren Clusteranalyse kann hier nicht eingegangen werden, es sei aber darauf hingewiesen, daß die nähere Betrachtung der zusammenspielenden Einflußfaktoren ergab, daß das Lesen von Büchern und Printmedien nicht ausschließlich von der formalen Bildung und dem jeweiligen sozialen Status abhängt. Intensive Buchleser schätzen "ihr" Medium in Situationen der Entspannung und Ablenkung als besonders wertvoll ein. Von ihnen wird in allen potentiellen Lesesituationen das Buch sehr häufig genannt. Siehe Fritz, Angela: Lesen im Medienumfeld. Gütersloh 1991. S.96; Ebda.: S.104: Bestimmende Faktoren des situativen Einsatzes von Medien sind: Ortsungebundenheit, räumliche Unabhängigkeit und die Möglichkeit von Nebentätigkeiten, Begleitung von Routinetätigkeiten gegenüber der Erfordernis von Konzentration und Ruhe. Die Mediennutzungsfrequenz hat ergeben, daß Buchleser das vorhandene Angebot wesentlich mehr ausschöpfen. Es ist zu fragen, ob sie beim jeweils situativen Gebrauch andere Schwerpunkte setzen.
[116])Hier versteht man "unter einem Leser eine Person, die eine Ausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift gelesen oder durchgeblättert hat. Konzentriertes oder auch nur flüchtiges Lesen, sind nicht unbedingt erforderlich, um dieser Definition zu genügen. Schon das Durchblättern einiger Seiten reicht aus für die Chance zum Anzeigenkontakt." Stern Bibliothek: Zielgruppenprofil: Trendsetter. Hamburg 1994. S. 133-156, hier S.137. Als Leser pro Nummer (LpN) gelten alle Personen, die mit einer durchschnittlichen Ausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift Kontakt hatten. Vgl. auch Lexikon für Publizistik: S. 6 u. 7. Zu den Lesertypen in den Definitionen der Lese(r)forschung insbesondere den Buchlesern finden sich hier eklatante Unterschiede. Genügt bei Zeitschriften sozusagen der "Augenblickskontakt" mit einer bedruckten Seite, so wird vom Buch- oder Zeitungsleser doch zumindest erwartet, daß er zusammenhängende Texte liest und zugleich sinnerfassend verarbeitet.
[117])Lesesozialisation Band 1: Leseklima in der Familie; Band 2: Leseerfahrungen und Karrieren; beide Gütersloh 1993.
[118])Ebda., Lesesozialisation Bd.1, S.36/37.
[119])Ebda., S.53ff.
[120])Schön, Erich: Die Leser erzählen lassen. In: IASL 15/1990, 2. Heft. S. 193-202; Ders.: Erinnerungen von Lesern an ihre Kindheit und Jugend. In: Media Perspektiven 5/1990. S.337-348. Graf, wie Anm. 69.
[121])Fritz, Angela: Indiviuelle Kommunikationsstrukturen, Information und Wissen. In: Media Perspektiven 9/1990. S. 584 - 599, hier S. 598.